Über den Un*sinn des Genderns

Über den Un*sinn des Genderns

In einer Radiosendung neulich war von Psycholog*innen die Rede, die konsequent gegendert wurden, den Kinderschändern hingegen blieb dies vorenthalten, sie mussten mit der minderwertigen männlichen Bezeichnung und dem generischen Masculinum vorlieb nehmen. Besser ergeht es da dem Gast, der in manch verwirrten Sprachfibeln als Frau zur ›Gästin‹ aufgewertet wird. Das Gendern scheint nur Wohlfühlgruppen vorbehalten zu sein, Begriffe wie ›Verbrecher‹ und ›Verlierer‹ hingegen bleiben den Männern vorbehalten. Absurd, ja belustigend mutet es an, wenn Zweitwohnbesitzern Zweitwohnbesitzerinnen und Wahlbeisitzern Wahlbeisitzerinnen beigestellt werden. Aber Genderaktivisten haben ja höhere Güter als die Sprache im Visier. Hier geht es um nichts weniger als Moral. Folgerichtig wird Kritik am Gendern als Ausgeburt reaktionärer männlicher Dominanzwahrung diskreditiert.

Das Argument von Genderskeptikern, dass das grammatische Geschlecht — das Genus eines Worts — mit dem natürlichen Geschlecht — also dem Sexus — nichts zu tun hat, wird naturgemäß als unerheblich angesehen.

Und da ist ja auch noch der alltägliche Sprachgebrauch: Wer von Klimaaktivisten liest, die sich am Asphalt festkleben, denkt wohl auch nicht ausschließlich an Männer.

Wer ›zum Japaner‹ essen gehen will, denkt nicht an einen Mann, sondern an Sushi und Sake. Und wenn ich mich dringend ›zum Arzt‹ begebe, provoziert das bestenfalls die Frage, was mir denn fehle, aber nicht unbedingt den Gedanken, dass ich einen männlichen Vertreter des Berufes aufsuchen würde.

So wichtig und richtig Maßnahmen zur Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter und gegen Diskriminierung benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen auch sind, so untauglich jedoch erweisen sich hierbei Sprachfibeln und Sprachvorschriften. Die Argumente der Genderaktivisten (Achtung, generisches Maskulinum!) sind bekannt: Sprache prägt unser Bewusstsein und unsere Vorstellung von Geschlechterrollen. Sprache dürfe niemanden ausgrenzen. Erst die gegenderte Sprache mit Binnen-I, Unterstrich oder Genderstern mache Frauen und nichtwahrgenommene Diskriminierte sichtbar. Im generischen Maskulinum, das unweigerlich die Assoziation von Männern hervorrufe, seien Frauen (Pluralformen maskuliner Wörter wie Lehrer, Arbeiter etc.) bestenfalls nur ›mitgemeint‹. Die Gleichheit der Geschlechter müsse sich in der Sprache manifestieren, Bewusstsein und gesellschaftliche Wirklichkeit würden schon folgen.

Doch die These ›Sprache prägt das Bewusstsein‹ ist und bleibt ein Grundirrtum der Genderdiskussion. Der Linguist Hans-Martin Gauger meint hierzu: ›Die feministische Sprachkritik überschätzt gewaltig die bewusstseinsbildende Macht einer Sprache.‹

Die Sprache und dadurch bewirkte Vorstellungsinhalte folgen der Wirklichkeit, nicht umgekehrt. Negiert wird die Tatsache, dass soziale und wirtschaftliche Realität entscheidend die Vorstellung vom Geschlecht und von bestimmten Berufsgruppen bestimmen. Wer die Wirklichkeit ändern will, muss die Wirklichkeit ändern, nicht die Sprache. Auch hier gilt, dass — marxistisch gesprochen — die ›Basis den Überbau bestimmt‹.

Dachte man in den 70er- und 80er-Jahren bei Terroristen auch an Frauen — Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Irmgard Möller prägten die Bilder im Kopf — so prägen die typische Vorstellung vom Terroristen nach dem 11. September vor allem Männer aus dem Nahen Osten.

Je mehr Frauen den Beruf eines Fernfahrers, eines Piloten oder Bäckers ausüben oder derartige Berufe in Film und anderen Medien einnehmen, umso mehr werden Piloten, Fernfahrer und Bäcker auch mit Frauen gedanklich assoziiert werden.

Vergessen wird auch, dass die Emanzipation der Frau im 20. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum — auch in Zeiten des generischen Maskulinum — große Fortschritte machte. Ausgeblendet wird auch die Tatsache, dass Länder wie die Türkei, deren Sprache keine Maskulina kennt, sich alles andere als vorbildlich zeigt, was Gleichberechtigung und Frauenrechte angeht.

Zweifelhaft ist auch die Überzeugung von Genderaktivisten und Sprachpolizisten, dass Sprachverordnungen und -gebote Diskriminierung an sich verringern, Emanzipation gefördert oder gar soziale Missstände beseitigt hätten. Dass Rassismus und Diskriminierung mit Um­etikettierungen nicht verhindert werden können, muss beispielsweise die amerikanische Gesellschaft leidvoll erfahren. So hat die Bannung des Begriffs Rasse den Rassismus nicht unterbunden und all die Umbenennungen der schwarzen US-Amerikaner — von Black Americans zu Afroamericans und nunmehr zu People of Color — am Rassismus der US-Gesellschaft sowie an brutalen Polizeiübergriffen nichts geändert.

Genderaktivisten behaupten gebetsmühlenartig, dass Gendern ein Phänomen des natürlichen Sprachwandels sei, die Bevölkerung werde sich daran gewöhnen. Doch Genderdeutsch ist eine neue, autoritär von einer meist universitär alimentierten Minderheit und gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung, durch keine demokratische Abstimmung legitimierte, von oben oktroyierte Sprachlenkung und -veränderung. Sie hat mit natürlichem Sprachwandel oder gar Demokratie nichts zu tun.

So setzt man an Universitäten statt auf Rhetorik und Formulierungskraft auf totalitären Zwang und identitätspolitische Bevormundung, indem man Studentenarbeiten, die nicht gegendert sind, zurückweist oder schlechter bewertet oder nervt im Fernsehen durch Pausen oder Sprachverzerrungen, deren Antidiskriminierungspathos nur den glücklich Eingeweihten offen steht, von der Mehrheit jedoch nur als Artikulationsprobleme wahrgenommen werden. Genderstern, Genderdoppelpunkt und Glottisschlag erweisen sich da als Stotterfallen und Sprachverzögerer, die Sprache nicht nur verschandeln, sondern auch unverständlich machen.

Hinzu tritt, dass Genderformen weder einfacher, artikulatorisch oder kognitiv, noch verständlicher als die generischen Maskulina sind, denen sie den Garaus machen sollen. So sind Paarformen wie ›Zuschauer und Zuschauerinnen‹ wesentlich länger, auch die Sparformen ›Student:innen‹ etc. sind doppelt so lang und Partizipien wie ›Studierende‹ sind nicht nur länger, sondern meinen eigentlich auch etwas anderes als Studenten.

Eine klassische Linke wie Sarah Wagenknecht wirft in ihrem Buch ›Die Selbstgerechten‹ der Linken und den Linksliberalen vor, nicht mehr für Gerechtigkeit zu stehen und sich zu wenig um die Anliegen der Armen und Benachteiligten zu kümmern, anstatt dessen würden sie Debatten ums Gendern in den Mittelpunkt rücken.

Es teilen auch nicht alle den deutschen Furor der Sprachreinigung und -reglementierung. So wurde in Frankreich per Erlass die Nutzung der gendergerechten Schriftsprache durch Studenten an Schulen und Universitäten verboten. Die Académie Française, der als oberste Hüterin des Französischen die französische Grammatik, Rhetorik, Poesie und Sprachpflege heilig ist, hatte sich bereits 2017 gegen die ›inklusive Schrift‹ ausgesprochen.

Sprachpolizisten interessieren sich nicht für die Schönheit von Sprache, wie sie in Gedichten oder literarischen Texten begeistert oder berührt. Auch das Spiel mit Sprache, Sprachwitz und Sprachschönheit ist ihnen in ihrem bürokratischen Weltverbesserungseifer zutiefst suspekt. Zu befürchten ist somit, dass auch Literatur, Prosa und Lyrik von ihrer politischen Agenda nicht mehr allzu lange verschont bleiben. Nicht auszudenken, welch Sprachgemetzel die Aufzwingung der Gendersprache für ein Gedicht Rilkes bedeuten würde.

Sprache geht alle Menschen an. Sie ist ein öffentliches Gut, über das nicht von moralischer Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit getriebene akademische Mittelschichten allein und gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit zu entscheiden haben. Wer glaubt, dass Gendern einen gewichtigen Anteil am Kampf gegen Gleichberechtigung, Antidiskriminierung und Antirassismus leisten kann, muss die Menschen auch überzeugen. Gefordert sind eine offene gesellschaftliche Debatte und demokratisch legitimierte Entscheidungen, sei es durch parlamentarische Willensbildung oder im Rahmen einer Volksabstimmung.