Zahlen haben keine Mundart

Dr. Gerald A. Matt / Siegfried Menz

Zahlen haben keine Mundart

Dr. Gerald A. Matt / Siegfried Menz

Sigi, du bist Chef der Ottakringer Getränke AG und warst lange Jahre im Vorstand von Rapid Wien. Ist aus einem Vorarlberger ein echter Wiener geworden?

Entschuldigung. Ein Vorarlberger wird nie ein echter Wiener. Wo Wien allerdings gut und stark und bunt ist, da soll man ruhig dabei sein. Wien, die ferne Stadt, die mir als Vorarlberger Kind als seltsam und fremd verkauft wurde, ist mir mittlerweile lieb und sympathisch geworden.

Wenn du nicht mit und für Bier beziehungsweise Mineralwasser (Anm.: Vöslauer) gearbeitet hättest, womit hättest du dich gerne beschäftigt? Gibt es so etwas wie einen unerfüllten Lebenstraum?

Ich habe ja nicht nur Betriebswirtschaft, sondern auch Theaterwissenschaft studiert, und zwar leidenschaftlich parallel zu Wirtschaft, bis es zur Nagelprobe kam: Sprechübungen. Zur Freude meiner Eltern, die für ein handfestes Studium plädierten, teilte man mir auf der Uni mit, dass meine Mundart ein weiteres Fortkommen ausschließe. Nun ja, für das betriebswirtschaftliche Studium reichten meine sprachlichen Fähigkeiten. Zahlen haben keine Mundart.

Gibt es eine familiäre Verbindung zum Bier?

Ja, klar, meine Mutter entstammt der Mohrenbräu-Familie. Schon in frühester Jugend holte ich für meinen Großvater bereits um 6 Uhr morgens, die Zeit seiner gymnastischen Übungen, Bierhefe aus dem Keller der Brauerei, die er zum Erhalt seiner Gesundheit trank. Und er wurde tatsächlich steinalt. Zudem wohnten wir während meiner Kindheit direkt in der Brauerei.

Du hast Vorarlberg zum Studieren verlassen und bist nicht zurückgegangen. Die Sprache hast du mitgenommen und beibehalten. Woran hängst du noch?

Ich bin seit 1973 aus Vorarlberg weg, abgesehen von einem kurzen Gastspiel bei einem Dornbirner Wirtschaftstreuhänder. Dann wollte ich noch die Dissertation machen — ›Venture capital als Finanzierungsinstrument für Innovation‹. Die wurde nie fertig, weil ich Geld verdienen musste und wollte. Aber das Thema wurde danach hochaktuell und hat später in meinem Leben eine Rolle gespielt. Woran ich noch hänge? Aber im Ernst: natürlich an meinen Geschwistern und meinen Freunden. Und ich habe noch einen Grund: ein Stück Erde, auf dem eine Esche steht. Das genügt als Heimat.

Was hältst du von den Vorarlberg-Wien-Animositäten? Nur Klischees?

Das meiste sind Klischees. Fleißige Leute gibt es überall und faule Hunde auch.

Du hast eine starke Affinität zur Kunst. Während der Studienzeit warst du Kultur-referent des Zentralausschusses der ÖH.

Wir bauten starke Beziehungen zu Osteuropa auf, das damals noch durch den eisernen Vorhang von uns getrennt war. Eine besondere Rolle spielte Polen und insbesonders die grandiose Jazz- und Rockmusik, aber auch die Theaterszene. Polnische Komponisten führten mich in ihre Welt ein, die unterschiedlichen Sprachen waren da kein Problem, es war Empathie und Sympathie und Kommunikation über die Musik. Das kommunistische Polen war grauer als grau, aber die Menschen waren fantastisch. In Wien haben mich die Begegnungen mit Qualtinger besonders beeindruckt, ein unglaublich interessanter Gesprächspartner und großer Erzähler von abgründigem Witz. Als ich ihm einmal sagte, ›Ich muss jetzt ins Theater‹, antwortete er mir: ›So jung bist du noch?‹ Das war Qualtinger. Und dann war da noch der Vorarlberger Kurt Kalb, Galerist, Mäzen und Gründer des Lokals ›Oswald und Kalb‹. Er war eine unglaubliche Persönlichkeit, sang immer ab Mitternacht die Landeshymne, war Vorarlberger nur unter starkem Alkohol-einfluss, ansonsten war er wienerischer als die Wiener.

Du sprichst von starken Persönlichkeiten. Fehlen die heute?

Die gibt es schon, aber heute, in Zeiten der Political Correctness, gilt Exzentrik schon als verdächtig. Es traut sich keiner mehr den Mund aufzumachen. Da machen sich Durchschnitt und Langeweile breit, nicht nur in der Politik.

Du äußerst dich immer wieder in Kommentaren kritisch zur gegenwärtigen Politik.

Ja, da agieren Bürokraten fern vom Hausverstand und weitab von den arbeitenden, praktischen und mitten im Leben stehenden Menschen. Politik nach Meinungsumfragen ersetzt inzwischen jede Form von Haltung. Aber wie sollen orientierungslose Politdarsteller auch Entscheidungen treffen? Es fehlen Politprofis. Populismusprofis hingegen haben wir zur Genüge.

Hat es dich jemals gereizt, in die Politik zu gehen?

Nein, da fehlt mir das Talent. Und Talentlose gibt es ohnehin schon genug. Außerdem liebe ich Arbeit, Entscheidungen, Gestaltung und positive Wertschöpfung.

Welches Zukunftsproblem beunruhigt dich besonders?

Die Sprache ist der wesentliche Faktor der Sozialisierung, und Kommunikation wird zunehmend von Technik verdrängt. Ich sehe große Probleme für die nachrückenden Generationen, was Kontrollverluste durch quasiautonome Technik, aber auch kommunikative Verarmung angeht.

Du giltst als Gegner von Monopolen und wirtschaftlicher Machtkonzentration und bist in der Getränkewirtschaft massiv davon betroffen. Siehst du dich auch als Kapitalismuskritiker?

Nein, prinzipiell ist der Kapitalismus ein wichtiger Wohlstandsfaktor, aber damit er den Menschen dient und nicht die Menschen ihm, sind Regeln nötig. Der Biermarkt ist ein gutes Beispiel. Der Verlust an Wettbewerb durch die hohe Konzentration zieht einen Verlust an Ideen und Qualität nach sich. Außerdem bedeuten die zunehmende Marktkonzentration und die ständigen Fusionen und Übernahmen nichts anderes als die Einschränkung von Wahlmöglichkeiten und damit die Einschränkung von Freiheit.

Wie behauptet sich da ein — in internationalen Maßstäben gesehen — ›Kleiner‹ wie Ottakringer?

Durch Individualität, Nähe zum Kunden, durch Innovation und Regionalität und durch persönlichen Einsatz. Ich kenne unsere Kunden und die Gasthäuser. Aber genug vom Bier, reden wir lieber über Kunst.

Da bist du ja nicht nur leidenschaftlicher Kunst-Konsument, du engagierst dich auch ehrenamtlich für Kunstinstitute, bist Sponsor und Sammler von Kunst.

Ja, ich bin im Freundeskreis der Neuen Oper Wien und im Vorstand der Kunsthalle, und wenn wo Bier und Mineralwasser gebraucht werden, versuchen wir gelegentlich zu helfen.

Die Engagements klingen nach zeitgenössischer Kunst, nach Experiment und Avantgarde. Was zieht dich da an?

Ich bin Unternehmer und ich mag neue Ideen, den Augenblick, die Veränderung, Spontanität, Vielfalt, kreatives Chaos, produktiven Konflikt, Anderssein. Und ich bewundere die Freiheit des Künstlers und seinen Schaffensmoment. Neues, Kreatives schaffen — das kann auch einem Unternehmer nicht schaden.

Du sammelst auch Kunst?

Ja, aber ich bin kein professioneller Sammler. Meine Kunstwerke sind mehr Ausdruck von Freundschaft, von Verbundenheit mit den Künstlern, sind mehr Andenken und Zeichen des Schönen als etwa Wertanlage. Sammlerstrategien interessieren mich nicht. Bei Kunst bin ich ausschließlich emotional.

Stichwort Kunst und Kultur in Vorarlberg: Immer noch Provinz?

Nein, Provinz in diesem Sinne gibt es nicht. Hinter derartigen Aussagen steckt meist nur Arroganz. Es gibt nur provinzielle Menschen. Zudem: Mit dem Kunsthaus, dem Kunstraum Dornbirn, den Festspielen und der Schubertiade ist Vorarlberg auch hochoffiziell internatio-nal top.

Kunst und Kultur in Vorarlberg — was fällt dir als Erstes dazu ein?

Künstler, die ich schätze: Wacker, Kalb, Fink, Ströhle, Gfader, Bechtold, Flatz.

Ist eine Rückkehr nach Vorarlberg für dich vorstellbar?

Das entscheide ich irgendwann einmal im Einvernehmen mit dem Herrgott sowie meiner Familie, also mit meiner wunderbaren Frau und meinen wunderbaren Töchtern.