Wir werden die Freiheit wieder
zurückgewinnen

Dr. Gerald A. Matt / Josef Martin Penninger

Wir werden die Freiheit wieder zurückgewinnen

Dr. Gerald A. Matt / Josef Martin Penninger

Herr Professor, was ist so faszinierend an Genetik?

Wir bestehen aus drei Milliarden genetischer Buchstaben. Die Aneinanderreihung der Buchstaben definiert nicht nur, ob wir Wurm, Fliege oder Mensch werden, sondern auch unsere Erkrankungen. Als ich anfing mit meinen Forschungen, wurden die Technologien entwickelt, mit denen wir Gene lesen konnten und dies nicht nur bei Menschen, sondern bei jedem Organismus auf dieser Erde.

Warum sind gerade in der Corona-Krise Genetiker so wichtig?

Als ausgebildeter Genetiker und Immunologe habe ich immer schon an Viren gearbeitet, schon in den 1990er Jahren am Coxsackie-Virus, der eine Herzmuskelentzündung verursacht. Durch das Lesen von Genen können wir Erkrankungen wie Krebs, Knochenschwund, aber auch Infektionen und genetisch kleine Veränderungen, die zu ihnen führen, verstehen. Da geht es um die Frage, wie ein Virus uns infiziert, wie unser Körper darauf reagiert und wie wir ihm dabei helfen können. Zudem können wir heute nicht nur Gene lesen, wir können sie — und das zum ersten Mal — in der Evolution auch aktiv ändern. Und wir können nun auch biologisch die Zeit zurückdrehen und Gene reparieren.

Aus einer kranken Zelle eine gesunde machen?

Noch nicht ganz, aber wir können ältere Zellen in das Stadium einer Stammzelle zurückführen. Und wir haben gelernt, Modellorganismen zu entwickeln. Ich habe immer wieder mit Fruchtfliegen gearbeitet, wobei es gelang, aus diesen Stammzellen kleine menschliche Organe zu ziehen, was uns beim Verstehen von Entwicklungsbiologie und dem Entwickeln von Therapien ungemein hilft.

Haben Sie jemals mit einer Pandemie mit derartig katastrophalen Auswirkungen gerechnet?

Ich habe anfangs darauf hingewiesen, dass es ein sehr gefährliches Virus ist und sein wird. Das Virus wurde unglaublich unterschätzt, als Grippe verharmlost, aber die gigantischen Auswirkungen auf unsere Welt und unser Leben habe ich nicht gesehen.

Was macht es so gefährlich? Sie haben sich früher schon intensiv auch mit dem Sars-Virus beschäftigt, was unterscheidet Sars und Corona?

Die große Gefahr besteht in seiner unglaublichen Ansteckbarkeit. Als ich 2003 in Toronto am Princess Margaret Hospital, wo auch die ersten Stammzellenexperimente der Welt gemacht wurden, arbeitete, war die Stadt das Epizentrum des ersten Sars-Ausbruches. Wir lebten und arbeiteten in Isolation in einer Stadt, wo man sich eine tödliche Erkrankung holen konnte und erlebten, wie ein kleines Virus das kulturelle und wirtschaftliche Leben total zum Erliegen brachte. Da war Toronto noch ein Zentrum der Filmindustrie, die starb wegen des Virus, weil kein Hollywoodstar mehr in die Stadt wollte. Dabei erkrankten nur 350 Menschen in Toronto und weltweit um die 8000 Menschen daran. Das Virus konnten wir in zehn Monaten eindämmen, weil es nicht wirklich ansteckend war. Das neue Virus ist hochansteckend, ansteckend auch durch Menschen, die noch keine Symptome haben, also das perfekte Virus für eine Pandemie. Und hinzu kommt unsere moderne globale Lebensweise.

Bislang gibt es keine wirksame Therapie gegen COVID-19. Sie haben ein Medikament entwickelt. Wie wirkt es und warum?

Das Medikament APN01 basiert auf meinen Forschungen, die ich vor 22 Jahren mit Untersuchungen über die Herzentwicklung bei Fruchtfliegen in Toronto begonnen habe. Sie haben einen Herztubus, der schlägt 60 bis 70mal in der Minute. Mein Interesse galt der Frage, welche Gene den Vorgang kontrollieren, der dem des Menschenherzens ähnelt. Damals entdeckten wir ein Gen mit dem Namen ACE 2 (Anm. Angiotensin-konvertierendes Enzym 2), das wie meine Forschungen zeigen, der essentielle Rezeptor für das Sars-Corona-Virus ist, um uns zu infizieren und in die Zellen zu gelangen. Gleichzeitig schützt ACE 2 viele Organe vor Organversagen. Was nun COVID-19, den Bruder des Sars-Virus, so gefährlich macht, ist, dass es viele Türen zu den Organen öffnet, vom Nasenraum in die Lunge wandert und dann in andere Organe wie Nieren oder Gehirn eindringt. Unser Medikament wird nun die Türen für das Virus schließen, indem es seine Bindung an ACE 2 verhindert.

Wie weit sind Sie mit der Entwicklung Ihres Medikaments?

Die vielversprechenden Ergebnisse der ersten klinischen Studie zeigen, dass wir am Herzstück des Virus angreifen. Das Medikament führt zu einer deutlichen Verbesserung der Anzahl der Tage ohne mechanische Beatmung bei Patienten und zur Reduktion der viralen RNA-Last. Dies bestärkt uns darin, die Entwicklung dieses vielsprechenden therapeutischen Entwicklungskandidaten fortzusetzen. Die jüngst aufgetretenen Virusvarianten, die gegen Antikörper- Medikamente oder sogar gegen Impfstoffe resistent sein könnten, benötigen weiterhin ACE2 als Rezeptor und Eintrittspforte in die Zelle. APN01 könnte damit zu einem essenziellen Bestandteil eines globalen Therapie-Repertoires gegen diese Varianten werden sowie gegen Varianten, die in Zukunft auftreten.

Wenn es nun ein wirksames Medikament gibt, können wir dann auf die Impfung verzichten oder anders gefragt, wird das Medikament die Impfung ersetzen?

Nein, wir brauchen ein Medikament und eine Impfung. Ebenso werden öffentliche Gesundheitsmaßnahmen wie Social Distancing und Masken für geraume Zeit nach wie vor wichtig sein. Das Virus wird uns nicht so schnell verlassen.

Viele Menschen haben Angst, Zweifel, was Sicherheit und Nebenwirkungen der im Vergleich sehr schnell zugelassenen Impfungen angeht. Haben sie recht? Werden Sie sich impfen lassen?

Ja, ich werde mich impfen lassen. Der wissenschaftlichen Wahrheit geschuldet ist, dass es keinen Impfstoff auf der Welt gibt, der 100 Prozent sicher ist, aber in einer Welt, die zugesperrt wurde und die aus wirtschaftlichen und psychologischen Gründen wieder aufsperren will, ist er unabdingbar.

Wie groß sind die Gefahren von Escape--Mutationen, für die ein Impfstoff oder das Medikament nicht mehr ganz so gut wirkt oder gar nicht mehr wirkt? Ist eine Supermutante denkbar?

Viren spielen ein evolutionäres Pingpongspiel mit uns. Wir adaptieren uns und das Virus adaptiert sich an uns. So wie das Grippevirus wird sich auch das Coronavirus, wenn Millionen von Menschen infiziert werden, im evolutionären Stress verändern. Das ist immer schon passiert. Aber ein Supervirus? Nein. Die Impfung wird auch weiter neue Varianten neutralisieren, allerdings unterschiedlich effizient.

Kann man sich da noch etwas einfallen lassen?

Ja absolut, da spielt unser ACE 2 eine Rolle. Wenn es ACE 2 vollkommen gelingt, das Virus zu blockieren, dann gibt es keine Erkrankung mehr, die wir Covid 19 nennen. Denn egal, wie das Virus mutiert, es benötigt ACE 2 zur Infektion.

Pandemien scheinen immer wieder die Welt verändert zu haben. Egon Friedell schrieb: ›Das Konzeptionsjahr des Menschen der Neuzeit war das Jahr 1348, das Jahr des Schwarzen Todes.‹ Wird die Welt so werden, wie sie war, oder wird sich unsere Gesellschaft sich in eine Hochsicherheitszone verwandeln? Werden wir unsere Freiheit wieder erhalten?

Wir werden die Freiheit wieder zurückgewinnen, und es wird nicht die letzte Epidemie gewesen sein. 1889/1890 hatten wir eine Pandemie, über die keiner mehr spricht. Sie wurde wahrscheinlich auch von einem Coronavirus ausgelöst, der inzwischen harmlos wurde und heute einen Schnupfen verursacht. Also: Hoffnung ist angesagt.

Aus welcher Familie, aus welchem Umfeld kommen Sie? Wie wurde aus Ihnen der Genetiker und Wissenschaftler?

Das ist eine lange Geschichte. Ich komme aus einem kleinen oberösterreichischen Dorf. Meine Eltern hatten einen kleinen Bauernhof, von dem sie nicht leben konnten. So stand mein Vater um 4 Uhr früh auf, um sich um die Tiere zu kümmern und ging dann um 7 Uhr in die Arbeit bei der Straßenmeisterei. In meiner ganzen Kindheit gingen meine Eltern zwei Tage auf Urlaub. Wir hatten kein einziges Buch zuhause, und unser Dorf galt als jenes, das die wenigsten Kinder ins Gymnasium schickt. Das war meine Welt. Doch meine Mutter glaubte an mich und schickte mich aufs Gymnasium. Ursprünglich wollte ich Mathematiker werden, da ich immer Dinge abzählen musste. Der Wunsch, Menschen zu helfen, machte mich dann zum Mediziner.

Was brachte Sie nach Toronto und in die Genforschung?

Ich hatte nie einen Lebensplan oder ein Karriereziel, eigentlich war alles Zufall, letztlich folgte ich immer meiner Leidenschaft. Nach einer Zeit als Arzt in Afrika legte mir einer meiner Mentoren an der Uni nahe, in die Forschung zu gehen, und so begann alles. Ich lernte ein Mädchen aus Toronto an einer Busstation in Paris kennen. Ich folgte ihr, aber sie heiratete einen Rechtsanwalt. Dennoch war ich zu meinem Glück zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich konnte in Kanada erstmals mit genmutierten Mäusen, Stammzellen und Genscheren arbeiten.

Und gewannen Erkenntnisse, die gerade für die Krebstherapie wichtig sind?

Ja. In der traditionellen Krebstherapie arbeitet man mit Messern, Strahlen und Chemie, wobei hier natürlich die Nebenwirkungen brutal sind, weil auch gesunde Zellen angegriffen werden. Auf Basis unserer Arbeiten, die aufgezeigt haben, dass unser Immunsystem Schalter hat, die man ein- und abschalten kann, sind wir zu ganz neuen Therapien gekommen. Paul Ehrlich schrieb schon 1900, dass es die beste Therapie gegen Krebs ist, das Immunsystem anzuschalten, das nicht nur gegen Viren reagiert, sondern auch gegen entartete Zellen. Ich sehe es als Fortschritt, wenn manche Krebsarten nicht mehr sofort töten, sondern zur chronischen Krankheit werden. Wir sind weit gekommen, aber ja, der Weg ist noch lang.

Es gibt hier nach wie vor in punkto Genetik beziehungsweise Stammzellenforschung ethische Bedenken. Sie wird von vielen als Eingriff in Gottes Bauplan abgelehnt. Halten Sie diese für berechtigt?

Ich war viele Jahre Young Global Leader in Davos und habe auch Workshops dazu geleitet. Es war eine Zeit, in der erste menschliche Stammzellen generiert wurden und Wissenschaftler dafür bedroht wurden und Polizeischutz brauchten. Bei einer Diskussion stand der Großmufti von Bosnien und Herzegowina auf und sagte, wenn es einen allmächtigen und allwissenden Gott gibt, dann hat er gewusst und gewollt, dass Menschen Stammzellenforschung betreiben werden, dass Menschen Gene lesen und ändern können, daher ist das auch kein Problem.

Was streben Sie noch an? Wäre der Nobelpreis die Krönung ihrer Karriere? Träumt man als Spitzenforscher eigentlich insgeheim immer vom Nobelpreis?

Ein Nobelpreisträger sagte mir einmal, das Geheimnis, den Nobelpreis zu gewinnen, bestünde darin, viel Sport zu treiben. Man müsse nur alt genug werden, um die zu überleben, die das gleiche gemacht haben.

Und machen Sie Sport?

Ja, ich komme gerade vom Schwimmen — im zwölf Grad kalten Ozean.

Vielen Dank für das Gespräch!