Vor rund 25 Jahre wurden Sie nach der Uni-Aktion ›Kunst und Revolution‹ verurteilt, galten als Enfant terrible der Wiener Kunstszene der 1960er Jahre und mussten ins Berliner Exil. Heute gibt es ein eigenes Brus Museum, das ›Bruseum‹. Im Jahr 1996 erhielten Sie den ›Großen Österreichischen Staatspreis für Bildende Kunst‹ für Ihr Lebenswerk und später den Kokoschkapreis. Eine Genugtuung? Eine Ironie der Geschichte?
Ich schätze Kokoschka überaus. Er wird heute zu Unrecht hinter Schiele gereiht. Seine Portraits sind ungeheuer modern. So habe ich mich am meisten über den Oskar Kokoschka-Preis gefreut. Ich habe Kokoschka auch getroffen, und er sagte zu mir: ›Werden Sie mir ja nicht abstrakt!‹ Ansonsten geht es mir wie Kokoschka, der nie wieder nach Österreich kommen wollte und dann den Bundespräsidenten und die Staatsoper malte. Die Aktion in der Uni war alle Grenzen überschreitend, und die Auswirkungen in der Tagespresse waren brutal. Die Verhandlung und Verurteilung jedoch erfolgten unter Ausschluss des Kunstbegriffes. Ich wurde ja nicht als Künstler angesehen. Doch das war das Problem der Republik. Aber jede Auszeichnung ist erfreulich, insbesondere, wenn sie mit Geld einhergeht. Wer anderes behauptet, lügt.
Sie kamen mit 18 aus der Steiermark nach Wien. Wie waren das Leben und das Lebensgefühl eines jungen Künstlers? Welcher Zeitgeist herrschte damals?
Zunächst ersparte ich mir die Aufnahmeprüfung. Eine Gutachterin der Kommission teilte mir, nachdem sie meine eingereichten Arbeiten gesehen hatte, mit: ›Sie brauchen keine Aufnahmeprüfung zu machen. Machen Sie sich einen schönen Tag in Wien!‹ Das war mein Einstieg. Dass Wien grau, miefig und spießig war, ist kein Klischee, das zeigte sich ja in den Reaktionen und Widerständen gegen unsere Kunstaktionen. Man wurde sofort kriminalisiert. Da war die Republik unerträglich nah zu einem Polizeistaat. Vieles spielte sich in unseren Wohnungen ab. Und wichtig waren Cafés, wie das Café Sport. Doch neben der Kunst brachte das Privatleben mit meiner Frau Ana die Sache und die Stadt jedoch in ein anderes, schöneres Licht, das glich vieles aus. Es gab auch keinen Markt und keine relevanten Galerien für uns. Da waren zwar die Galerie St. Stefan und das Griechenbeisl, die mochten uns Aktionisten aber nicht. Monsignore Maurer, der damalige Chef und Gründer der Galerie St. Stefan, schmiss mich sogar bei einer Ausstellungseröffnung hinaus, weil ich einen Hut trug, der ihn an Lenin erinnerte.
Wie kam es zum Aktionismus? Was war Ihre erste Aktion?
Entscheidend war für mich die Begegnung mit Otto Mühl. Mühl stellte mir Kurt Krenn vor, dem ich eine von mir entworfene Partitur zeigte. Daraus entstand meine erste Aktion ›Ana‹ in Mühls Wohnung. Von da an ging es flott weiter. Bald ersetzte ich wie bei meinem ›Wiener Spaziergang‹ die weiße Leinwand durch meinen Körper, die Malerei durch einen Grundstrich und ging in den öffentlichen Raum. Für meine zweite Aktion regte mich der spätere Galerist John Sailer an und stellte mir seine Wohnung zur Verfügung, die Hoffenreich fotografierte. Dabei habe ich mich endgültig von Mühl gelöst.
Ihre Arbeit heute und in den 1960er und 1970er Jahren: Gab es Zäsuren?
Zäsur wäre falsch, letztlich gab es immer fließende Übergänge, selbst der Übergang von den Körperaktionen zu den Bildtext-Arbeiten sind für mich Fortsetzung einer künstlerischen Haltung. Ich habe in der Volksschule schon geschrieben und gezeichnet. Beides war für mich gleichwertig. Das Geschichtenschreiben hat meine Arbeit immer begleitet.
Wie reagierte die damalige Kunstwelt in Wien auf Sie?
Die damalige Avantgarde hat die Aktionen konsequent abgelehnt.
Machte die Ablehnung und der Widerstand Sie als Gruppe stärker?
Anfangs ja, uns hielt die gemeinsame Absicht zusammen, den bisherigen Kunstbegriff zu sprengen. Nitsch hatte die Vision eines neuen, anderen Theaters, Mühl wollte die Zerstörung der Malkunst, bei mir stand das Ungenügen der Malerei im Vordergrund. Mir ging es um die Erweiterung ihrer Möglichkeiten, Schwarzkogler orientierte sich mehr an Artauds Theater der Grausamkeit. Später wurden die Unterschiede aber immer klarer. Ich wollte weder das Theater erneuern, noch Gruppen oder Kommunen bilden.
Wie kam es zur Uni-Aktion ›Kunst und Revolution‹, die von der Boulevardpresse aufs bösartigste als ›Uni-Ferkelei‹ angegriffen wurde? Haben sie mit den scharfen Reaktionen von Medien und Staat gerechnet?
Wir waren der naiven Vorstellung, dass es so schlimm nicht sein werde, und rechneten bestenfalls mit einer Verwaltungsstrafe. Zwei Dozenten zeigten uns an — mit dem falschen Hinweis, dass ich gesagt hätte, wir würden es im Stefansdom wiederholen. Wiener glaubte anfangs, wir hätten versagt, da nichts öffentlich wurde. Am Sonntag darauf explodierte es dann. Kurzum, wir waren über alle Dimensionen überrascht. Auf einer Polizeiwachstube wurde ich brutal festgehalten, wie ein Schwerverbrecher sofort inhaftiert. Vom berüchtigten Psychiater und Verbrecher Heinrich Groß, dem ehemaligen SA-Mann und Leiter der Wiener Kinder-Euthanasieklinik am Spiegelgrund, wurde dann ein psychiatrisches Gutachten angefertigt. Das waren der wahre Skandal und das Spiegelbild der moralisch verwahrlosten Republik. Und wir wollten einen Skandal, wir wollten erschüttern, und ich wollte besonders erschüttern, ja. Die Uni-Aktion fand im historischen Jahr 1968 statt. In Österreich passierte die Revolte gegen die verkrustete und immer noch nationalsozialistisch angehauchte Gesellschaft eigentlich durch die Kunst. Wir waren aber nicht vordergründig politisch. Politisch war, dass es in den Heiligen Hallen passierte, aber mir ging es um die Revolutionierung der Kunst. Dass künstlerische Tabubrüche auch für gesellschaftliche Veränderung notwendig waren.
Sind künstlerische Tabubrüche notwendig, um Veränderungen herbeizuführen?
Man kann mit Kunst etwas bewegen, das Land hat sich ja seither durchaus verändert.
Sie mussten vor einer drohenden Haftstrafe nach Berlin fliehen.
Ja, gemeinsam mit meiner Frau und Tochter in einer Nacht- und Nebelaktion. Berlin war wie ein unendlicher Urlaub, liberal und offen. Einem Teil meiner literarischen Memoiren habe ich auch den Titel ›Das gute alte Westberlin‹ gegeben. Aufgrund meines österreichischen Verfahrens hatte ich ein siebenjähriges Reiseverbot. Aber in Berlin konnte ich den Aktionismus nicht mehr denken. Da war kein Skandal mehr nötig. Wenn ich über den Kudamm weiß gekleidet mit einem schwarzen Strich gegangen wäre, hätten die Leute das als lustig empfunden. Aber das gab mir auch neue Anregungen, meine Arbeit weiterzuentwickeln.
Sie gründeten damals die Exilzeitung ›Die Schastrommel‹. Wie entstand der Titel? Um was ging es Ihnen dabei?
Der Titel stammt von mir und Gerhard Rühm. Auf Wienerisch provoziert der Begriff ›Die Schastrommel‹. Der Untertitel war ›Organ der öst. Exilregierung, Erscheinungsort Bolzano‹. Es ist auch ein Schimpfwort für eine ›ältere Dame‹. Letztlich wollten wir präsent damit sein.
Die Aktionisten hatten auch Humor?
Ich habe nie so viel gelacht wie in Berlin.
Der finale Höhepunkt Ihrer Körperaktionen stellte wohl die ›Zerreißprobe‹ 1970 in München dar, bei der Sie sich Fäden durch die Haut zogen und Schnitte im Kopfbereich setzten. Danach entschlossen Sie sich, mit den körperlichen Aktionen aufzuhören.
Mir wurde es zu gefährlich. Meine Frau hat dem ein Ende gesetzt. In der nächsten von mir geplanten Aktion wollte ich mich am Fußboden annageln. Diese Gewalt gegen mich selbst lehnte sie zutiefst ab. Danach gingen wir nach Südspanien. Dort entstand meine erste Bilddichtung ›Der Balkon Europas‹, eine meiner schönsten Mappen. Das war der endgültige Bruch mit dem Aktionismus.
In Ihren Aktionen gingen Sie oft bis an die körperliche Grenzerfahrungen, hatten Sie auch Angst vor den Schmerzen und den psychischen Folgen?
Neugier ja, Angst bei den Körperaktionen nein, außer bei der Uniaktion. Da war mir mulmig auch im Hinblick auf Attacken aus dem Publikum. Meine letzte Aktion, die ›Zerreißprobe‹, nahmen selbst die Ordnungshüter ziemlich locker. In Wahrheit ging ich mit einer meiner Schrammen nur knapp an einer schweren Kopfverletzung vorbei.
Ihre selbst zugefügten Wunden haben Sie niemals nähen lassen. Warum?
Das waren nur oberflächliche Verletzungen. Da machte ich nicht viel Aufhebens darum. Und der Schmerz hielt nicht an. Die Wunde heilte ja von selbst. Damals war ich halt ein harter Hund.
Spielten Drogen und Alkohol eine Rolle dabei?
Drogen nein, Alkohol ja. Wir hatten immer einen Doppler in der Nähe stehen.
Bei all ihren Erfolgen, großen Ausstellungen, Präsenz in den wichtigsten Sammlungen vom Centre Pompidou über Tate bis MoMA in New York, gibt es da so etwas wie eine Niederlage, ein großer künstlerischer Wunsch, der nicht in Erfüllung ging?
Ja, ich wurde nie im österreichischen Pavillon auf der Biennale Venedig gezeigt, das ist eine Niederlage.
Sie lagen nach einem Schlaganfall im Koma und mussten mühsam das Sprechen wieder lernen.
Ja, ich habe mir mit dem Rapportieren von Hölderlin-Gedichten das Sprechen wieder beigebracht.
Woran arbeiten Sie zurzeit?
An Bilddichtungen und Illustrationen dazu.
Sie sind ja geradezu ein Titelfetischist. Gibt es schon einen Titel?
Ich denke, dass könnte das erste Mal sein, dass ich keinen Titel habe. Ohne Titel klingt gut, und ist in meinem Fall ja überraschend. Mal sehen.