The Party is over …
oder Putins kulturelles Sibirien

The Party is over … oder Putins kulturelles Sibirien

Putins brutaler Überfall hat Blut und Terror über die Ukraine gebracht. Auch wenn der Westen keinen militärischen Beistand leistet, so bemüht er sich doch mit scharfen Wirtschaftssanktionen, Russlands Aggression entgegenzutreten. Auch immer mehr Museen, Theater, Opernhäuser und Kunst-institutionen brechen ihre kulturellen Kooperationen mit Russland ab. Auch der russische Pavillon auf der Kunstbiennale Venedig wird heuer geschlossen bleiben. Die Filmfestspiele in Cannes werden in diesem Jahr keine russischen Künstler mit Nähe zur dortigen Regierung empfangen. Russland wird in diesem Jahr auch nicht am Finale des Eurovision Song Contest in Turin teilnehmen können. Bands wie ›Green Day‹, ›Louis Tomlinson‹, ›AJR‹, ›Iggy Pop‹ oder Klassikstars wie die lettische Mezzo-Sopranistin Elina Garanca und der polnische Tenor Piotr Beczala haben ihre Auftritte in Moskau gestrichen. Auch das Sommergastspiel des Bolschoi-Balletts in London wird nicht stattfinden und die Metropolitan Opera lässt ihre Partnerschaft mit dem Bolschoi-Chef Theater ruhend gestellt. Die französische Zeitung ›Le Figaro‹ spricht gar von einem ›Tornado‹, der momentan durch die weltweite Kulturbranche fege. Was bisher als salonfähig galt, etwa russisches Geld für die Salzburger Festspiele, wird heute zu Recht als Anbiederung und Akzeptanz des russischen Angriffskrieges diskreditiert.

Kunst und Krieg

Oligarchen wie Wladimir Potanin, einer der reichsten Russen, müssen ihre prestige- und einflussreichen Positionen in Museumsgremien aufgeben. In Frankreich wird bereits diskutiert, ob die zur Zeit in der Louis Vuitton Foundation ausgestellte berühmte Morosow-Sammlung mit über 200 Meisterwerken nicht konfisziert werden sollte. Eine Ironie der Geschichte wäre es wohl, wenn die unter Lenin vom kommunistischen Staat eingezogene Sammlung nun wiederum beschlagnahmt werden würde. So forderte der tschechische Ökonom Tomas Sedlacek nicht nur, die russischen Finanzreserven einzufrieren, sondern so weit zu gehen und auch das Eigentum russischer Oligarchen und Firmen sowie deren Kunstwerke zu beschlagnahmen. Kein Wunder also, dass die russische Regierung und deren Museen nun die sofortige Rückgabe von Leihgaben in westlichen Museen fordert. So erhielt beispielsweise der Direktor des Palazzo Reale in Mailand einen Brief vom Eremitage-Museum in Sankt Petersburg, in welchem die Rückgabe von 25 Werken gefordert wird, die derzeit im Rahmen der laufenden großen Tizian-Schau ›Tizian und das Frauenbild im Venedig des 16. Jahrhunderts‹ ausgestellt sind. Unter den Werken sind 19 Bilder italienischer Künstler, darunter Tizians Meisterwerk ›Junge Frau mit Federhut‹ aus dem Jahr 1536. Mehrere dieser Werke waren im 18. Jahrhundert von der russischen Kaiserin Katharina II. in Italien erworben und nach Russland gebracht worden.

So wird Kunst nun im Ukrainekrieg zur finanziellen und kulturellen Dispositionsmasse. Die britische Kulturministerin Nadine Dorries schwor, Kultur zur dritten Front im Kampf um die Ukraine zu machen: ›Putin soll unter einem kulturellen Sibirien leiden.‹

Hierzu gehört auch, dass russische Kunst und Künstlern massivem Druck ausgesetzt werden. Aufsehen erregte die Entlassung des Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev. Der deklarierte Freund Putins hatte sich geweigert, der Aufforderung des Münchner Oberbürgermeisters nachzukommen, sich vom Diktator zu distanzieren. Die Starsopranistin Anna Netrebko, ebenfalls eine Unterstützerin Putins, wurde von der Met ausgeladen und wird bis auf weiteres wohl kein Engagement mehr an westlichen Opernhäusern erhalten — ob man damit die Künstler nicht vielleicht vor Buhrufen bewahrt hat, sei einmal dahingestellt.

Vom richtigen Maß

So richtig es ist, dass aus öffentlichen Mitteln finanzierte Institutionen die Zusammenarbeit mit Personen in Frage stellen, die ihre Kunst zur Propaganda für den Diktator Putin nutzen, so falsch ist es, künstlerische Leistungen an deren moralischer Integrität zu messen. So wurden Handkes Bücher zu Recht auch nach seiner Solidarität mit dem Kriegsverbrecher Milosevic nicht aus den Buchhandlungen verbannt. Absurd wird es gar, wenn Oprah Winfrey Tolstois ›Krieg und Frieden‹ aus ihrem Buchclub verbannt oder das Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester Tschaikowsky aus dem Programm streicht — da siegt bestenfalls die Dummheit.

Schließlich sind die Meinungs- und die Kunstfreiheit elementare Säulen unserer Demokratie; Werte, die der Westen zu Recht gegenüber totalitären Systemen und Despoten verteidigt. Richtig verhält sich da die Frankfurter Buchmesse, die jedwede Zusammenarbeit mit ›staatlichen russischen Institutionen‹ ablehnt, aber gleichzeitig zur Zusammenarbeit mit russischen Autoren steht. Die kulturellen Sanktionen gegen Russlands staatliche Institutionen und Repräsentanten müssten konsequent anhalten, bis die Souveränität der Ukraine wiederhergestellt ist und die russischen Truppen abgezogen wurden. Doch damit diese sinnvoll sind, müssen sie überlegt sein. Und sie müssen zu Lasten Putins und dessen Lakaien gehen, sich aber nicht gegen jene russischen Künstler richten, die selbst unter Zensur und Gewalt leiden. Letztlich stellt unsere liberale Demokratie mit ihren Freiheiten Putins moralisch und wirtschaftlich versagende Diktatur doch am meisten in Frage.

Und der Kunstmarkt?

Aber wie sieht es mit dem Kunstmarkt, den Auktionshäusern, Galerien und Kunstmessen aus, die allesamt bislang von der Einkaufslust und den Investments von Putins Entourage — den russischen Oligarchen — profitierten?

So gehört etwa auch das Auktionshaus Phillips seit 2008 zum russischen Luxuskonglomerat Mercury Group, dem größten Einzelhandels- und Immobilienkonzern Russlands. Phillips reagierte, indem es den gesamten Nettoerlös von 5,8 Millionen Pfund, die das Haus neulich in einer Contemporary Art Auktion eingenommen hat, an das ukrainische Rote Kreuz spendete. Dennoch steigt der Druck aus der Kunstszene, auch Phillips zu boykottieren. Ebenfalls auf der Liste steht Pjotr Awen, der mit der Alfa Group die größte Geschäftsbank Russlands leitet. Er ist als begeisterter Sammler russischer Kunst bekannt und besitzt namhafte Werke von Natalija Gontscharowa oder Wassily Kandinsky. Die Parks und Gärten seines ausgedehnten Landgutes in der englischen Grafschaft Surrey zieren Skulpturen von so bekannten und teuren Künstlern wie Lynn Chadwick, Henry Moore oder Louise Bourgeois. Insgesamt wird die in Russland und England platzierte Kunstsammlung Awens mit rund 100 Millionen Dollar bewertet.

Ebenso versucht die Leitung der Wiener Contemporary mit vordergründigen Ukraine-Solidaritätserklärungen ihre russische Finanzierung, aber auch die katastrophale Performance der vergangenenen Jahre vergessen zu machen.

Eine Zeitenwende

Auch bei den großen Kunstmessen wie der Art Basel geht die finanzielle Angst um: Senn bald dürfte auch der Kunstmarkt, bisher ein Eldorado der Geldwäsche, stärkerer Kontrolle unterliegen. Unterstanden Kunsttransaktionen bisher weder den Regeln des Finanzmarktes noch mussten die Identitäten der Kunden offengelegt werden, so wird nun auch die Schweiz den Kunsthandel, das Auktionswesen sowie das Logistik- und Lagerwesen strengen Regeln zur Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorfinanzierung unterwerfen.

Damit die Sanktionen nicht indirekt über den Kunstmarkt umgangen werden können, verschärfen auch die USA ihre Reglementierungen und Strafen. Kunstmagnaten wie der Chelsea-Eigner und Gründer des schicken Moskauer Ausstellungszentrum ›Garage‹, Roman Abramovic oder auch die Brüder Rotenberg — Boris Rotenberg, ein Jugendfreund Putins und sein Bruder Arkadi; sie beide verfügen über Russlands größtes Bauunternehmen für Gaspipelines, stehen ebenfalls auf der Sanktionsliste. Obwohl die Rotenbergs seit 2014 von der US- Regierung mit Sanktionen belegt wurden, kauften sie vor kurzem noch über ihre Briefkastenfirma Highland Venture um 20 Millionen Dollar Kunst, darunter Werke von Magritte und Renoir. Nach Untersuchungen eines US-Kongressausschusses und der Medienplattform ›Politico‹ sind die Rotenbergs nur die Spitze des Eisberges jener Oligarchen, die von den laxen Gesetzen zur Regelung des US-Kunstmarktes — des größten Kunstmarktes der Welt — profitierten. So ist der US-Markt nach einer Studie der Bank UBS und der Art Basel für 44 Prozent aller weltweiten Käufe verantwortlich, und 2019 betrug sein Volumen 64 Milliarden Dollar.

Mit der Ausweitung der Sanktionen auf den Kunstmarkt und zunehmenden Kontrollen der Kunsttransaktionen werden die Einkaufstouren und die Party-stimmung der russischen Eliten ein jähes Ende finden. Der Ukrainekrieg ist also auch eine Zeitenwende für den internationalen Kunstmarkt.