Ohne Engel und Dämonen im Kopf
kann man kein Künstler sein

Dr. Gerald A. Matt / Marilyn Manson

Ohne Engel und Dämonen im Kopf kann man kein Künstler sein

Dr. Gerald A. Matt / Marilyn Manson

Sie sind als Musiker sehr bekannt, haben aber, parallel zu Ihrer Musikerkarriere, auch früh mit der Malerei begonnen. Was verbindet den Musiker mit dem Maler, dem bildenden Künstler? Wo sehen Sie für sich signifikante Unterschiede?

Ich glaube, wenn ich mir meine bisherigen Platten so anschaue, dass diese für mich immer Filme oder Geschichten erzählt haben, die irgendwie bildlich waren. Auch meine ersten Texte hatten starke Bilder. Sie sind wie Drehbücher von Alfred Hitchcock — sehr bildhaft und mit stark reduzierten Dialogen. Am Anfang habe ich von der Malerei eher gelernt, die Musik anders zu machen, also haben sich die beiden Ausdrucksformen bei mir ergänzt. Ich wollte beides ziemlich lange auseinanderhalten, wahrscheinlich weil ich mir erst meine Meriten als Künstler verdienen wollte. Ich wollte als Künstler nicht mit den Leuten in Verbindung stehen, die mich als Marilyn Manson kennen. Ich denke, dass diese Ausstellung also sehr wichtig für meine Kunstkarriere ist. Sie ist meine bisher bedeutendste Schau. Und das spornt mich auch an, weil ich gerade eine neue Platte mache, bei der ich die Grenzen zwischen den zwei Künsten überschreiten will. Die Trennung ist heute für mich nicht mehr so eindeutig. Ich führe die beiden Dinge ganz bewusst zusammen, weil ich die Malerei nicht als Hobby verstanden wissen will. Ich strebe nach einer Synthese beider Kunstsparten durch meine Ideen und die Bilder in meinem Kopf, die Farbe, Sprache und Melodien umfassen.

Meiner Meinung nach geht es in Ihrer Musik um ein Kernthema, um die Geschichte des Bösen. Da ist Panik, da ist Schmerz, da ist Angst?

Wenn ich mir Märchen oder Comics oder Kindergeschichten oder die Bibel oder Romane im Allgemeinen anschaue, dann war für mich die Figur des Bösewichts immer am interessantesten. Der Böse hat mehr menschliche Merkmale. Sein Charakter ist mir wesentlich zugänglicher als der des Helden, der ja in Wahrheit fast unerreichbar ist. Der Held ist unrealistisch und in den meisten Geschichten meiner Ansicht nach auch scheinheilig. Ich denke, dass sich deswegen alle Künstler immer mit dem identifizieren, was das herrschende Klischee für negativ hält. Wissen Sie, was negativ ist, hängt ja immer von der Meinung des Einzelnen ab. Gut und böse sind zwei Worte, beide sind Teil des Menschen, der Mensch ist beides, und wenn man nicht beides hat, dann ist man auch kein ganzer Mensch. Meine Meinung aber ist, dass Gott gleichbedeutend ist mit Kunst.

Sind sie etwa religiös?

Zugegebenermaßen, meine Musik und meine Kunst handeln von Religionen, und ich verwende christliche Symbole. Aber ich — religiös? Meine Bilder stellen letztlich die Realität dar. Eines heisst ›Everyday it hurts to wake up‹ — so ist das Leben ja wirklich.

Die Gegensätze zwischen Gut und Böse, düster und fröhlich, moralisch und unmoralisch zeigen sich auch in Ihrem Künstlernamen Marilyn Manson. Marilyn Monroe ist der amerikanische Traum von Schönheit und Jugend, der letztlich scheitert. Charles Manson ist dagegen der Alptraum.

Der Kontrast war sicherlich ein Grund für die Kombination. Außerdem sagt man in Amerika zu Marilyn Monroe einfach Marilyn und zu Charles Manson einfach Manson. Der Name hatte aber auch noch andere Gründe. Die beiden Namen wirken zusammen magisch — so wie Abrakadabra! Außerdem ist es unheimlich, wenn man erkennt, wie ›bipolar‹ der Name ist. Alle meine Figuren haben diese zwei Seiten, die dunkle und die helle. Es gibt immer zwei Seiten, nur das möchten viele Menschen in Amerika nicht wahrhaben. Unsere Kultur kennt nur den ›guten‹ und den ›schlechten‹ Menschen und nichts dazwischen. Für mich ist gerade diese Bipolarität von großer Bedeutung. Marilyn Monroe war eine strahlende Person, gleichzeitig war sie drogensüchtig und beging Selbstmord. In Amerika ist das übrigens ein psychologischer Ausdruck — bipolare Störung, auch bekannt als manisch-depressive Erkrankung —, der sicher mehr als einmal auf mich angewendet wurde. Ich misstraue der Psychiatrie sehr. Psychologie, also das Verstehen der menschlichen Psyche, ist eine Sache, aber die Psychiatrie, die manche Leute ja der Stadt Wien zuschreiben, weil sie Sigmund Freud hervorgebracht hat, ist eine ganz andere Sache. Die Psyche eines Künstlers zu diagnostizieren kann meiner Ansicht nach zu seiner Zerstörung führen, weil man ohne Engel und Dämonen im Kopf kein Künstler sein kann.

Wie und wo malen Sie? Haben Sie ein Atelier?

Nein, es gibt kein Atelier. Ich arbeite zu Hause. Ich male kniend auf dem Boden. Ich kann nicht an einer Staffelei malen, weil das Bild sonst zerrinnen würde. Manchmal stehe ich auf und lass es absichtlich zerrinnen. Porträts mache ich am liebsten, sie faszinieren mich. Ich mache Fotos von Leuten, die ich dann abmale.

Wasserfarben sind Ihr Lieblingsmedium. Warum?

Ich kann mich einfach am besten mit dieser Technik identifizieren. Ich habe, glaube ich, mit Tusche begonnen, weil mir Schwarzweiß so gut gefiel. Dann wollte ich mehr Farben haben. In erster Linie mag ich an den Wasserfarben, dass sie vom Papier aufgesogen werden. Ich mag Wasserfarben auch, weil sie Flecken machen und das sehr intim wirkt. Außerdem hat das damit zu tun, dass ich gerne sitze und zusehe, wie die Farben beim Trocknen überlaufen und verrinnen. Dabei kämpfe ich auch mit meinen beiden Katzen, die im Zimmer herumlaufen. Es geht also um die ganze Situation beim Aquarellieren. Ich mag, wenn es ganz ruhig ist. Ich male die letzten Stunden vor Sonnenaufgang, da bin ich am kreativsten.

Sie haben des Öfteren auf Ihre Verehrung Egon Schieles hingewiesen. Was fasziniert Sie an Schiele ?

Egon Schieles Darstellungen von Frauen, von sexuellen Szenen, sein Umgang mit Körpern vermitteln eine Schönheit, die mit Groteske vermischt ist. Immer schon konnte ich mich mit ihm identifizieren. Ich mag aber auch zeitgenössische Künstler wie Matthew Barney. Seine Bildsprache finde ich sehr eindrucksvoll und anregend. Mein Lieblingskünstler ist aber Salvador Dalí. Ihn verehre ich, besonders seine Zeichnungen und diesen großartigen Sarkasmus, vor allem aber seine Vorstellung von Kunst und Künstlersein. Bei ihm sind Privatmann und Künstler miteinander verschmolzen.

Sie haben in einem Film über Lewis Carroll Regie geführt. Er heißt Phantasmagoria. Haben Sie den Film als neue Ausdrucksform für sich entdeckt?

Vielleicht. Phantasmagoria ist letztlich ein extremer Film geworden. Sich mit Alice im Wunderland und der Person Lewis Carroll zu befassen, ist aufregend und vielleicht ein bisschen unheimlich zugleich. Lewis Carroll ist zugleich interessant und absonderlich. Sein bürgerlicher Name war ja Charles Dodgson, Lewis Carroll ist bloß ein Pseudonym. Er war Mathematiker und wurde als Fotograf berühmt. Weil er so viele Fotos von jungen Mädchen gemacht hat, galt er als pädophil. Überall, wo alles bunt und unschuldig erscheint, gibt es auch eine dunkle Seite. Aber die Leute wollen sie nicht sehen, besonders nicht die Amerikaner.

Man gab Ihnen ja die Schuld an dem Massaker an der Columbine High School.

Ja, man meinte, ich sei dafür verantwortlich, weil die Amokläufer meine Musik gehört haben. Trotzdem bin ich nicht ausgewandert. Ich hab meinen Frieden mit Amerika geschlossen.

Mich interessiert noch Ihr Verhältnis zu David Lynch und seinen Filmen.

Er war für mich immer als Künstler wichtig. Abgesehen davon, dass er auch malt, sich als Filmemacher also auch anders ausdrückt, war er für mich eine unglaubliche Inspirationsquelle. Blue Velvet, aus dem Jahr 1986, war der allererste Film, mit dem ich mich emotional wirklich identifizieren konnte. Abgesehen von den Farben, den Schnitten, der Mischung von Sex und Gewalt, dem Ton und den Nahaufnahmen ist das einfach brillantes Kino. Als ich ihn dann persönlich kennenlernte, hat er sich als sehr erstaunlicher Typ herausgestellt, und er würde von mir sicher dasselbe sagen.

Vielen Dank für das Gespräch!