Vor geraumer Zeit erschien in Vorarlberg ein kleines Büchlein, in dem Vorarlberger, die im Ausland erfolgreich sind, befragt wurden (wobei unter Ausland auch verstanden wird, was hinter dem Arlberg liegt). Vorarlberg, a small world — auch zu klein für dich ?
Ich hatte schon mit 14 davon geträumt, in einer großen Stadt zu wohnen. Nach der Matura 1981 ging ich nach Wien. Innsbruck kam nicht in Frage — zu klein, und vor allem konnte man dort nicht Design studieren. Aber auch Wien war nur ein Etappenziel. Durch den Gewinn einer Wette gegen meinen Schwager konnte ich nach der Matura New York besuchen. Als ich ein Stipendium für das Art Institute in Chicago erhielt, lehnte ich in jugendlichem Leichtsinn ab — ich wollte in die Nummer-eins-Stadt. Und mein Glück gab mir recht: Ein halbes Jahr später erhielt ich ein Stipendium für New York.
Wie war New York in dieser Zeit? Und wie kamst du als junger Designer mit der Stadt zurecht?
Es war ein bisschen wie im Film: gefährlich, spannend und überraschend. Ich habe in der Lower East Side gewohnt, damals ein einziger riesiger Drogenmarkt. Gewalt und Polizeirazzien waren da an der Tages- und Nachtordnung, dafür waren die Mieten extrem billig und man hatte nicht diesen finanziellen Druck, den junge Kreative heute in NYC haben. Nach zwei Jahren ging mir die permanente Gefahr und Gewalt allerdings auf die Nerven.
Hattest du schon als junger Designer Erfolg?
Ich hatte einen guten Start, ein Stipendium, das mir ohne Stress einen guten Einstieg ermöglichte, mein Leben war bezahlt, ich konnte mir gute Jobs aussuchen und musste keine schlechten aus finanziellen Gründen annehmen.
Was waren das damals für gute Jobs?
Ich habe ein paar feine Dinge für einen jüdischen Restaurantunternehmer gestaltet, der in Soho ein Pionier war — die ›Soho Kitchen & Bar‹ gibt es heute noch. Dann gingen er und seine Freunde nach Miami und investierten dort. Miami Beach war damals eine Kata-strophenzone, nur noch ein Abglanz vergangener goldener Zeiten. Danach kamen langsam die Fotografen, die Models, die Kunstmesse Art Basel/Miami, und heute boomt es. Wir konnten damals für einen Studenten ein paar tolle Projekte realisieren.
Du sagst häufig ›wir‹, wenn du zu deiner Arbeit befragt wirst.
Als Student und am Anfang — als es noch rein um Grafik ging — war ich Einzelkämpfer. Seit der Gründung meines Studios 1993 gilt immer ›wir‹, weil es nichts gibt, das ich alleine gemacht habe. Unsere Arbeit ist immer im Teamwork entstanden.
Trotzdem: Wer ist der Autor?
Unser erstes Buch erschien unter dem Namen ›Sagmeister Inc.‹ — eine Übersicht über die Arbeiten mit meinem Team. Das zweite Buch hat den Titel ›Things I have learned in my life so far‹, da steht schon das Ich davor, aber auch hier lege ich Wert darauf, dass die Ideen und Werke im Austausch entstanden sind. Dabei sehe ich mich mehr als Katalysator, Ideengeber und Projektmotor denn als einsamen Autor.
Deinem Buch ›Things I have learned in my life so far‹ liegen Sätze deines Tagebuchs zugrunde. Wie autobiografisch ist deine Arbeit? Kannst du mir ein Beispiel nennen?
Die Arbeiten aus dieser Phase sind sehr persönlich und damit natürlich autobiografisch. Die Dinge, die ich gelernt habe, habe ich auch alle wirklich gelernt — oder bin zumindest auf dem Weg, sie zu lernen.
Viele deiner Arbeiten wurden und werden im Kunstzusammenhang gezeigt und besprochen. Wie positionierst du dich als Designer im Spannungsfeld von Kunst und Autonomie, kommerzieller Arbeit und Auftragsverhältnis?
Ich bin Designer, und meine Arbeiten — ob Werbung, ob Grafik, ob Objekt im öffentlichen Raum — sind Designarbeiten. Die schönste und einfachste Definition habe ich von Donald Judd gehört: ›Design has to work, art does not.‹ Aber die Abgrenzung zwischen Kunst und Design ist schwierig, denk an Franz Wests Möbel oder an Andy Warhols Covers für Velvet Underground, die viel mehr Qualität haben als seine Kommerzporträts für Prominente. Mir ist es letztlich egal, ob etwas Kunst oder Design genannt wird. Die Frage ist: Ist es gut oder schlecht?
Kannst du mir ein Projekt nennen, auf das du besonders stolz bist und in dem sich dieser Unterschied zwischen Kunst und Design völlig auflöst?
Die Happy Show. Dies ist eine Ausstellung zum Thema Glück, die ursprünglich für das Institute for Contemporary Art in Philadelphia konzipiert worden war. In der Zwischenzeit ist diese Ausstellung viel gereist, war in Toronto, Los Angeles, Chicago, Paris und Vancouver und wird im Herbst auch ins Museum für angewandte Kunst nach Wien kommen.
Du hast vor einiger Zeit ein sehr spektakuläres Projekt im öffentlichen Raum realisiert — fünf aufblasbare Affen, die eine Aufschrift trugen. Kannst du mir etwas über dieses Projekt, zu seiner Idee, Genese und Rezeption erzählen?
Diese Affen wurden ursprünglich für Schottland konzipiert und tragen die Aufschrift ›Everybody always thinks they are right‹. Das ist meine Erfahrung, dass es mir (und anderen) sehr schwerfällt, Dinge außerhalb unserer eigenen Erfahrung richtig zu bewerten.
Zurück zu deinen Tagebuchsätzen. Der erste Satz lautet: ›Everything I do, always comes back to me.‹ Ein — dein — moralischer Imperativ?
So ging es mir immer. Alle meine guten und alle meine schlechten Taten hatten in meinem Leben immer Konsequenzen. Weniger Imperativ und mehr Erfahrung. Im Buddhismus gilt dies als Karma.
Welche Rolle spielen Kalkül und Zufall bei deinen Ideen und Werken?
Kalkül und Zufall arbeiten Seite an Seite. Ich bin ein braver Planer, und durchgeplante Projekte sind mir vom Gemüt her am liebsten. Ich weiß aber, dass ich auf Zu- und Unfälle hören muss. Dinge werden spannender dadurch.
Kannst du mir ein Beispiel nennen, wie sich eines deiner Projekte von der ursprünglichen Idee bis zur Realisierung vollkommen verändert hat? Wo man sozusagen auch dieses Wechselspiel von Plan und zufälligen Einflüssen beobachten kann?
Ja, das Projekt, an dem wir gerade arbeiten, der ›Happy‹-Film. Dieser begann als allgemeine Dokumentation zum Thema Glück und ist in der Zwischenzeit ein sehr persönlicher Film zu Leben und Liebe geworden, komplett unterschiedlich zum ursprünglichen Plan.
Was macht deiner Meinung nach einen guten, ja einen Spitzendesigner aus?
Ein guter Designer gestaltet Dinge, die den Benutzern helfen oder dieselben entzücken. Manchmal ist sogar beides möglich.
Apropos Sabbatical: du machst alle sieben Jahre eine Pause von einem Jahr. Was machst du in der Zeit?
Ich hatte das erste dieser Jahre mit absoluter Freiheit und ohne Planung angefangen und habe dann relativ schnell entdeckt, dass ich einen Stundenplan brauchte, weil mir die Zeit zum Vertrödeln zu schade war, und ohne Struktur kam nur E-Mailen und Geschirrspülen heraus. In diesem Plan haben all die Dinge Platz, die ich immer schon tun wollte, aber während des regulären Studiobetriebs glaubte keine Zeit zu haben. Das waren schwierige Dinge, wie Montagmorgen, 10 bis 11 Uhr: Freies Denken, oder 11 bis 12 Uhr: Die große Idee, sowie einfache Dinge wie Freitagnachmittag von 3 bis 5 Uhr Galerien-Besuch.
In einem Video mit dem Titel ›Happiness by design‹ erzählst du von glücklichen Momenten in deinem Leben und davon, wie sehr Design damit zu tun hat. Macht gutes Design glücklich?
Über die Hälfte der Menschheit lebt derzeit in Städten. In einer Stadt ist die komplette Umwelt designed — vom Schmuck bis zur Kleidung, vom Zimmer über das Apartment bis zum Haus, die Straße, der Park, der Stadtteil, die gesamte Stadt ist gestaltet. All dieses Design kann gut oder schlecht sein, und natürlich hat dies großen Einfluss auf unser Wohlbefinden.
Du hast in letzter Zeit immer mehr Projekte im Off-Raum realisiert, dich gewissermaßen von den Sachzwängen der Werbung befreit. Ist das der Lohn für deinen kommerziellen Erfolg?
Uns wird schnell langweilig. Darum probieren wir gerne neue Sachen aus.
Slogans, ja Sprache insgesamt scheinen wichtige Momente deiner Arbeit zu sein. Inwieweit ist Sprache auch Design?
Grafik ist im weitesten Sinn die Kombination von Wort und Bild. Dadurch, dass wir unsere Maxime, unsere Slogans oft unter Verwendung von Bildern ›schre-iben‹, ergibt sich eine ganz enge Verknüpfung von Wort und Bild.
Du hast auch schon Projekte im oder besser am Kunsthaus Bregenz gemacht. Da war der Satz, allerdings ins Deutsche übersetzt: ›Complaining is silly, either act or forget.‹ Ein Satz, in dem sich kulturelle Unterschiede zwischen den USA einerseits und Europa und Österreich manifestieren?
Ja. Im — schon ein wenig verlernten — Bregenzer Dialekt klang das noch besser: Jömmera isch blöd. I sött eappas tua, odr’s vergeassa.
Zurück zu Bregenz: Werden wir Stefan Sagmeister als alten Herren in einigen Jahrzehnten am See spazieren gehen sehen?
Das könnte mir sehr gefallen.