Wir sehen einen gefesselten Menschen, der auf seinen sicheren und grauenvollen Tod durch ein sich ihm pendelförmig näherndes, von der Decke herabschwebendes messerscharfes Beil wartet. Mit seinem Kurzfilm ›The Pendulum, the Pit and Hope‹ (1983), der im Rahmen der großen Swankmajer-Präsentation des Kunstraums Dornbirn gezeigt wird, der hierfür auch das Flatzmuseum bespielt, führt uns Jan Swankmajer in eine schwarz-weiß düstere, an das Grauen der Inquisition erinnernde mittelalterliche Zelle, eine filmische Allegorie des unausweichlichen und allgegenwärtigen Todes, ein unerbittliches Memento mori, das auf den Motiven von Edgar Allan Poe und Auguste Villiers de L’Isle-Adam beruht. Das Interesse für Poe zeigt auch sein Film ›The Fall of the House of Usher‹ (1980). Die Kamera schweift durch ein verfallendes Haus, der Boden erwacht zum Leben, die Wände brechen auf. Anstelle von menschlichen Darstellern überlässt Swankmajer das Geschehen der von ihm animierten Materie. Steine, Hölzer, Wasser und Lehm, wiederkehrende Darsteller in seiner Arbeit, lassen eine menschenleere Welt erstehen, in die sich letzte Spuren des wahnhaft-sensiblen Roderick Usher und seiner untergehenden Familie einschreiben.
Der tschechische Künstler und Filmemacher Jan Swankmajer erzählt aberwitzige, absurde Geschichten, die sich außerhalb von Zeit und Raum, in einer Art Dämmerzustand zwischen Traum und Alptraum, zuzutragen scheinen. Swankmajer, der Starfilmer wie Tim Burton oder Terry Gilliam maßgeblich beeinflusste, gilt unter Cineasten längst als Ikone. Und doch sind seine Arbeiten meist nur ausgewiesenen Liebhabern des Animationsfilms bekannt, sind sie doch zu komplex und zu widerständig, zu fern von jeder Form oberflächlicher Zeitgeistigkeit, um leichte künstlerische Kost oder gar wohlfeile Ware zu bieten.
Kunst, Natur und Leben, Realität und Unterbewusstsein stellen für Swankmajer keinen Gegensatz dar. Swankmajer bekennt sich zum Surrealismus. Sein Surrealismus ist Weltsicht und Erkenntnismethode eines von den Wundern der Welt berauschten, ewig neugierigen und fanatischen Sammlers von Versatzstücken des Lebens, eines Künstlers, der sich mit Poesie und Ironie dem Kampf gegen die vordergründige Herrschaft von Vernunft und Logik verschrieben hat. Die Ausstellung im Kunstraum Dornbirn lädt ein zu einer lustvollen Reise in Swankmajers Welt, von seinen surrealen, zwischen Horror und Humor changierenden Filmen über seine sinnlich-skulpturalen Objekt- und Materialerkundungen und taktilen Studien bis hin zu seinem absurden grafischen Werk.
Jan Swankmajer wurde 1934 in Prag geboren und lebt auch heute noch in der Stadt, die André Breton einst ›die magische Stadt Europas‹ nannte. Der stark vom sowjetischen Avantgardetheater und -film beeinflusste Künstler arbeitete nach seinem Studium als Puppen-theaterregisseur am berühmten Theater Laterna magika. Ende der 60er-Jahre trat er der tschechischen Surrealistengruppe bei, die sich um den Theoretiker Vratislav Effenberger gebildet hatte. Nachdem bereits frühe surreale Arbeiten — wie der auf der letzten Biennale Venedig gezeigte ›The Garden‹ (1968), in dem Menschen sich zu einem absurd anmutenden Gartenzaun formieren — aufgrund ihrer Irrationalität und ihres Zweifels an einer vernunftbeseelten und teleologischen Welt als subversive Proklamationen der menschlichen Freiheit und als hintergründige Kritik am totalitären kommunistischen System gelesen wurden, belegten die staatlichen Behörden Swankmajer von 1972 bis 1980 mit einem Drehverbot, was ihn allerdings nicht hinderte, weiter zu arbeiten. So entstand 1972/73 seine enzyklopädische Collage ›Jan Swankmajers Historiae Naturae‹, der sein Film ›Historiae Naturae (suita)‹ (1967) voranging, ein Film, der vom Interesse und der Leidenschaft des Künstlers für den Manierismus und Rudolfs Prag der Wunderkammern kündet und im Zentrum der Dornbirner Ausstellung steht. Seine Filme zeichnen sich durch eine Stop-Motion-Technik aus, deren Schnitte er immer wieder mit atmosphärischen Geräuschen kombiniert. Ihn interessieren Animationstechniken, nicht nur um Atmosphären zu kreieren, sondern auch um alltägliche Gegenstände, totes Material, zum Leben zu erwecken. Swankmajers von Metamorphosen und alchimistischen Transformationen geprägte Welt ist im permanenten Wandel begriffen. So werden in seinem an Archimboldos Bildwelten erinnernden Animationsfilm ›Dimensions of Dialogue‹ (1982), ein weiterer in der Ausstellung gezeigter Film, Objekte von Obst über Gemüse bis hin zu banalen Haushalts-gegenständen zerstückelt und zerhackt, um wiederum zu absonderlichen Physiognomien zusammenzuwachsen.
Neben seinen surrealen Kurzfilmen baut Swankmajer wundersame Skulpturen aus Muscheln, Federn und Vogeleiern, Haut- und Skelettteilen toter Tiere, Steinen und anderen Fundstücken. So entstehen skurrile, bizarre und verstörende Fabelwesen, die den Tiefen unserer Traum- und Alptraumwelt entsprungen zu sein scheinen und auf die dunkle Seite der Existenz, auf das faszinierend Unheimliche und die verworrenen Wege der Psyche verweisen. Die Materialien für all seine Objekte von Gürteltierkörpern bis Haizähnen hat der leidenschaftliche Sammler von unzähligen Reisen mitgebracht.
Auch seine Radierungen in der Anmutung alter zoologischer, anatomischer und botanischer Studien zeigen fantastische Märchenwesen, Produkte einer unheimlichen Begegnung organischer Materialien. So entstehen immer wieder neue Kreaturen aus dem Unterbewusstsein, das er als seine stärkste Inspirationsquelle bezeichnet: ›Was immer auch aus meinem Unterbewusstsein kommt, verwende ich, weil es für mich die reinste Form hat. Während alles in unserem Bewusstsein durch die Realität, die Kunst und die Erziehung geprägt ist, sind die ursprünglichen Erfahrungen in uns die unverfälschtesten.‹