>Ich bin ein Mensch, der nur schreibend existiert<

Dr. Gerald A. Matt / Armin Thurnher

>Ich bin ein Mensch, der nur schreibend existiert<

Dr. Gerald A. Matt / Armin Thurnher

,Anstandslos‘ ist im Wesentlichen eine Abrechnung mit der Politik von Sebastian Kurz und seiner türkisen Partei. Du sprichst hier massive moralische Verfehlungen, aber auch totalitäre, autoritäre Tendenzen an. Machen wir es ,kurz‘ : eigentlich geht es um einen Mangel an Anstand. War Anstand jemals eine politische Kategorie?
Ja. Es ist natürlich einerseits ein vollkommen diskreditierter Begriff. Ich erwähne das auch in dem Buch. Himmler lobte in einer Ansprache seine Gauleiter in Polen, weil sie Anstand bewahrt haben, im Angesicht der Erschießungen von Tausenden von Juden. Danach, könnte man sagen, kann man mit dem Begriff nichts mehr anfangen. Auf der anderen Seite war Anstand über die Jahrhunderte hinweg ein quasi bürgerlich-polemischer Begriff gegen Feudalherrscher, die sich schlecht benommen haben, also jene, die ihre rollengemäßen Ansprüche nicht erfüllt haben. Und auf die konnte man zeigen und sagen: ,Die benehmen sich nicht anständig.‘ Wir wollen ein anständiges Benehmen unseres Führungspersonals.

Du hast das Phänomen der jungen, dynamischen, skrupellosen, karriereorientierten Politikergeneration, der ,Anstandslosen‘, als ,Feschismus‘ bezeichnet. Das klingt natürlich nach Faschismus. Wie bist du auf den Begriff gekommen?
Ich habe ein Buch geschrieben, Titel: ,Das Trauma, ein Leben: Österreichische Einzelheiten.‘ Und da habe ich in der Einleitung Phänomene des österreichischen politmedialen Komplexes behandelt und da ist mir Kitzbühel aufgestoßen. Gleichzeitig wollte ich nicht gleich mit der Faschismuskeule durchs Leben gehen. Auch der Haider war damals als Faschist nicht so einfach zu benennen. Und dann ist mir plötzlich beim Schreiben dieses Wort ,Feschismus‘ sozusagen in die Tastatur gerutscht.

Dein Begriff ist sehr populär geworden.
Ja, er hat Karriere gemacht. ,Feschismus‘ zielt schon auf eine Art Vorstufe des Faschismus ab, eine toxische Männlichkeit, so eine Körperlichkeit, die eine suprematistische Art von Politik legitimiert, die mit faschistischen Gesten arbeitet.

Damit geht auch eine Warnung einher, vor einem autoritären, totalitären System wie es etwa Orban Ungarn aufoktroyiert. Du hast ja vor zehn Jahren bereits ein Buch veröffentlicht ,Republik ohne Würde‘ – quasi ein Vorbote zu deinem neuen Buch. Ist die Demokratie auch international, nicht nur, wenn man Österreich anschaut, auf dem Rückzug? Ist sie als Kind der Aufklärung gefährdet?
Absolut, da kommen mehrere Dinge zusammen. Wobei ich mit diesen Titeln, auch mit der Würde, darauf hinweisen wollte, dass es auch auf Einzelne ankommt, die durch ihr Beispiel zeigen, dass man es anders machen kann. Es ist eine doppelte Zange. Das eine ist die neoliberale Bewegung, eine ideologische Offensive, die praktisch seit Ende des Zweiten Weltkriegs an Fahrt gewinnt. Und dazu kommt spätestens seit der Jahrtausendwende diese digitale Welle, die sozusagen die technische Seite dieses Neoliberalismus darstellt. Und beides zielt darauf ab, den Markt zu verabsolutieren und im Interesse Einzelner, seien es die großen Kapitalbesitzer, seien es die großen Tech-Konzerne, zu beeinflussen.

Da setzt auch deine Medienkritik an?
Es ist diese Doppelbewegung, die auch die Medienöffentlichkeit mehr und mehr kontrolliert. Es gibt natürlich viele andere Öffentlichkeiten, aber die Medienöffentlichkeit ist eine zentrale und die wird jetzt auch digital und ideologisch dominiert von dieser Zange, und dagegen Politik zu machen ist nicht einfach, aber möglich. Doch Demokratie braucht diese Öffentlichkeit. Und das ist insofern ein Problem, weil dadurch der ,Feschismus‘ und die digitale Korruption, wenn man so will, voranschreiten und das öffentliche Argumentieren und das öffentliche Reden über Politik immer weniger Räume hat. Orban und Kaczynski – Berlusconi war ihr Vorreiter – schalten das öffentlich-rechtliche Medienwesen aus, zerstören die öffentlich-rechtlichen Sender und versuchen mithilfe von Boulevardmedien, ihren Privatsendern und den auf Linie gebrachten staatlichen Sendern zu regieren.

Du schreibst ja seit vielen, vielen, vielen Jahren deine Kolumne regelmäßig, ja nahezu wöchentlich. Hast du das Gefühl, dass du mit deiner Kolumne etwas bewirken kannst?
Mit der Kolumne kann ich überhaupt nichts bewirken. Ich bewirke damit nur, dass ich sozusagen mich am Leben halte und mir selber noch beweise, dass ich noch denken und formulieren kann.

Es gibt Reaktionen darauf …
Es gibt Reaktionen darauf, aber das heißt nicht, dass die Kolumne etwas bewirkt. Also sonst dürfte es zum Beispiel die Fellner-Medien nicht geben oder die Mediaprint hätte es nie geben dürfen.

Bis 2014 hast du jedem deiner Artikel den Satz beigefügt: ,Im Übrigen bin ich der Meinung, der Mediamil-Komplex muss zerschlagen werden‘ – eine Polemik gegen die österreichische Medienkonzentration und den ausufernden Boulevard. Du hast aber diesen Zusatz nicht aufgegeben, weil sich die Situation verbessert hat?
Nein, ich habe den Zusatz aufgegeben, weil sie sich verschlechtert hat, weil mittlerweile ja die ,Kronen-Zeitung‘ schon ausschaut wie eine Qualitätszeitung im Vergleich zu dem, was in den digitalen Medien passiert.

Was würdest du sagen, hat den Erfolg des ,Falters‘ letztlich ausgemacht? Und was muss man vielleicht für die Zukunft ändern?
Der Erfolg des Falter kommt sicher aus seiner Unbestechlichkeit und seiner Nicht-Käuflichkeit, und dass er gegen die Prognosen von Verlegerkollegen immer in journalistische Kompetenz investierte. Wir haben das verdiente Geld nicht in Marketing gesteckt sondern versucht, eine gute Redaktion aufzubauen. Und irgendwann waren da die Geschichten, die den ,Falter‘ erfolgreich gemacht haben, weil sie auch auf eine gute Art recherchiert wurden und weil sie auf eine kompetente Art geschrieben und berichtet wurden. Und plötzlich ist aus einer ganz queeren Ecke einer Stadt- und Programmzeitschrift eine Wochenzeitung entstanden.

Was wird sich in einer immer digitaleren Zukunft ändern für die Zeitungen? Ex-Presse- Chefredakteur Michael Fleischhacker titelte ein Buch, ,Die Zeitung. Ein Nachruf.‘ Und Mathias Döpfner vom Springer-Verlag hat gesagt, ,Die Zukunft des Konzerns ist digital.‘ Was muss der Falter ändern?
Ich würde sagen, der mediale Aggregatzustand, ob es jetzt gedruckt ist oder digital, ist nicht so wichtig. Das Wichtige ist, dass Journalismus seriös ist. Und dazu muss es ein redaktioneller Journalismus sein. Das heißt, man muss Redaktionen erhalten, diese Organismen, die sich gegenseitig inspirieren und auch kontrollieren. Was die digitale Publikationswelt hauptsächlich mit sich gebracht hat, ist eine totale Zersplitterung. Also jeder kämpft für sich allein, und jeder glaubt, er ist dadurch mächtiger als alle anderen. Das stimmt aber nicht. Er ist dadurch wesentlich schwächer. Man wird durch diese Medien verführt, die Grenze zwischen Werbung und Redaktion in sich aufzuheben. Da geht es auch um die einzelnen, zugeschneiderten Artikel, damit man dann weiterklickt und weiter Daten abgibt und weiter zum Erfolg des Mediums – natürlich nur zum kommerziellen Erfolg – beiträgt. Das zu verhindern, ist die Aufgabe des guten Journalismus.

Qualität kostet Geld. Man braucht gute Journalisten, Zeit für Recherchen etc. Die Leserschaft geht zurück, die Auflagen gehen zurück. Wer kann überhaupt für gut recherchierte Geschichten noch bezahlen? Besteht nicht die Gefahr, dass Information zum Luxusgut wird und nur mehr reiche Leute Informationen bekommen, was demokratiepolitisch natürlich bedenklich ist?
Ganz bedenklich. Ich sehe einerseits die Notwendigkeit, dass die Öffentlichkeit da stärker investiert und zwar nicht nur in Geld. Sie muss auch diesen Journalismus fördern. Aber sie muss auch in die Schulen und in die Erziehung und in die öffentliche Wahrnehmung investieren. Den Kindern muss man nicht beibringen, wie man ein Handy bedient, sondern was passiert, wenn man das Handy einschaltet, was dahinter abläuft. Und man muss dem Publikum erklären, wofür bezahlt werden muss. Man muss den Menschen auch klar machen: Wenn ihr eine Rolle spielen wollt als informierte Staatsbürger, dann müsst ihr für eine gewisse Art von Information auch bezahlen.

Du hast dich immer wieder als überzeugten Linken bezeichnet.Was ist heute überhaupt noch links? Also ist zum Beispiel die dänische Sozialdemokratie links? Oder ist die portugiesische Sozialdemokratie links?
Das ist natürlich eine schwierige Frage, die Jürgen Habermas immer so beantwortet hat: ,Jeder weiß, was gemeint ist.‘

Da entziehst du dich der Frage elegant.
Ich entziehe mich nicht, ich betrachte mich als linken Kapitalisten, und ich bin der Meinung, dass Linkssein auch bedeutet, den Kapitalismus neu zu definieren, nämlich auch praktisch. Das nehme ich für mich in Anspruch, dass wir das mit dem Falter Verlag und durchaus mit sehr kapitalistischen Miteigentümern gemacht haben. Weil wir als Miteigentümer andere, geringere Renditeziele hatten wie ein deutscher Verlag. Wir haben auch 40 Jahre lang auf jede Gewinnentnahme verzichtet, einfach, um das Ding am Leben zu halten. Auch so etwas ist möglich. Man muss Unternehmen auch nach gesellschaftlichen Werten, nach Umweltbeiträgen nach sozialen Beiträgen beurteilen.

Du siehst also durchaus auch die Vereinbarkeit von Freiheit und Solidarität, Privat und Staat.
Ich glaube, dass es für jedes Individuum das Allererste ist, seine Freiheit anzustreben.

Wenn man deinen Lebensweg anschaut – du warst ja eigentlich immer auch Unternehmer, oder das, was man Freiberufler nennt …
Ja, natürlich, immer. Das ist die Frage, was man dann sozusagen als Vergütung dafür ansetzt. Ich habe mir halt die Freiheit genommen, mehr Selbstverwirklichung und vielleicht auch soziale Aufmerksamkeit als Belohnung zu akzeptieren. Und nicht nur die Kohle.

Du schreibst ja nicht nur den wöchentlichen Falter-Kommentar, sondern auch täglich einen Blog. Ist überhaupt vorstellbar, dass du dich vollkommen aus dem Journalismus zurückziehst? Oder gilt bei dir auch ,Cowboys die in their boots‘?
Ich schreibe die Seuchenkolumne, die macht mir großen Spaß. Auch weil ich die literarisch viel freier anlege. Auch muss sie nicht jeden Tag erscheinen. Also nicht zu schreiben, kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin ein Mensch, der nur schreibend existiert. Aber ich kann mir vorstellen, durchaus literarisch zu schreiben und der Journalismus und auch die Selbstverwirklichung mit täglichen Kommentaren müssen nicht sein.

Denkst du da an einen Roman?
Es wird die Fortsetzung meines Amerika-Romans. (,Fähre nach Manhattan: Mein Jahr in Amerika.‘) Außerdem schreibe ich natürlich Gedichte. Doch davon kann man nicht leben.

Du bist Vorarlberger. Wie sehr hat das deine Karriere geprägt? Abseits aller Klischees – Gibt es etwas, was du als spezifisch Vorarlbergerisch an dir bezeichnen würdest?
Wahrscheinlich ist es die Zähigkeit, die Zähigkeit und eine gewisse Bedürfnislosigkeit. Sonst hätte ich die vielen Jahrzehnte ,Falter‘ nicht durchgehalten, die sozusagen vor dem großen Erfolg, den er jetzt hat, waren.

Herzlichen Dank für das Gespräch!