Himmel auf Erden ist der Titel einer Arbeit von Alfred Hrdlicka. Mit Himmel auf Erden könnte man – wohl kaum besser – die Verheißungen aller Ideologien beschreiben, die das jenseitige Glücksversprechen der Religionen durch die Verwirklichung eines umfassenden irdischen, sowohl individuellen als auch kollektiven, Wohlbefindens kompensieren wollen. Oder, um es kurz zusammenzufassen: Glück jetzt, im Diesseits, statt Glück im Himmel, im Jenseits später, dafür aber ewig.
Die schmerzhafte Ambivalenz und das Scheitern des Himmels auf Erden, seiner politischen Hoffnungen und Heilsversprechen zwischen Erlösung und Enttäuschung, Befreiung und Terror, seeliger Utopie und bitterer Realität lehren uns jedoch die Lektionen der Geschichte.
Hrdlicka selbst war bis zu seinem Tode Kommunist, ein scharfer Kritiker des Kapitalismus und des Faschismus, eine Persönlichkeit, dessen Werk wie kaum ein anderes künstlerischen Ausdruck und politische Themen verwoben hat, ob er sich der französischen Revolution oder dem nationalsozialistischen Terror widmete.
Seine Arbeiten schöpfen ihre Kraft aus einem geradezu gestisch – martialischen Elan. Die expressiven, so schwungvollen, aber gleichwohl sensiblen Linien seiner Zeichnungen sind Ausdruck einer streitbaren und gleichzeitig sehr verletzlichen, empörten Persönlichkeit.
Kunst wird in der wundervollen Radierung „Himmel auf Erden“ jedoch nicht zu einer Metapher eines anderen, politisch besseren Systems. Vielmehr führen ihre Wünsche und Sehnsüchte uns in eine barocke, bacchantisch, erotisch-lustvolle Welt, Schubert, Weib, Wein und Gesang. Keine politische Utopie, nein, eine künstlerische Utopie sehen wir hier, Lust und Lebensfreude anstelle der Doktrin einer perfekten Gesellschaft der Gleichheit und Gerechtigkeit.
Hrdlickas Welt ist eine Welt der Kunst, utopisch künstlerisch ja, real beziehungsweise vordergründig politisch nein.
Utopie wird hier verstanden als jenes Feld, das Kunst und Politik sich überschneiden lässt, das sie aber auch trennt. Und so ist auch Hrdlickas Werk nicht künstlerisch relevant, weil es gesellschaftliche und politische Themen anspricht, sondern weil es künstlerisch, ästhetisch und formal herausragend ist und gleichzeitig auch Politik und Gesellschaft künstlerisch verarbeitet und hinterfragt.
Und so ist „Himmel auf Erden“ eine Arbeit, die die Indienstnahme der Kunst – durch politische Bekenntnisse, Woke- Indoktrination und sonstige Beschränkungen, Zwänge und Zensur, wie sie zunehmend die Kunstförderung und die Politik öffentlicher Kunstinstitutionen vergiftet – ad absurdum führt. Denn da legitimiert nicht das Politische die Kunst, wie ihr dies in autoritären Regimen oder im wokistisch dominierten Kunstzirkeln aufgezwungen wird, nein hier rechtfertigt nur herausragende Kunst das Politische, ja bedingt es.
Wir wissen, dass Kunst und Politik seit jeher in einem problematischen Verhältnis stehen. Denn wo Kunst sich der Politik anbiedert, ist sie Lakai ideologischer Scheuklappen und billiger Politpropaganda (wie wir es unlängst auch auf der Dokumenta erleben konnten) oder gar belangloses Abziehbild gutgemeinter Gesinnung oder biederer Weltverbesserungsrhetorik.
Zweifelsohne ist gute Kunst in tieferem Sinne auch immer politisch, politisch aber im Sinne eines Robert Musil, dass sie uns nicht in ohnehin bekannte Wirklichkeitsräume führt, sondern Möglichkeitsräume eröffnet; Welten, die unser Denken und unsere Wahrnehmung erweitern und im besten Falle verändern. Erinnert sei an John Cages Credo „Das Bekannte unbekannt machen“, sodass „durch Veränderung, durch Verschiebung … das Alltägliche, Altbekannte neu wahrnehmbar“ wird und „einen neuen Erfahrungsraum öffnet“.
Für den deutschen Philosophen Herbert Marcuse ging es beim Politischen der Kunst nicht um den vordergründig politischen Gehalt eines Werkes, eine – ich zitiere – „einfache Referenz auf Gegenstände der Politik, sondern ganz grundsätzlich auch um die „Spannung zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen“, ja sogar pathetisch um die „Schönheit als Promesse de Bonheurs‘“. Weiter sagt Marcuse: „Kunst untergräbt die Alltagserfahrung und zeigt, dass sie verstümmelt und falsch ist; sie hat jedoch diese magische Kraft nur als Kraft der Negation. In ihren fortgeschrittenen Positionen ist sie die große Weigerung – der Protest, gegen das, was ist.“
Die Kunst ist also politisch, nicht weil sie vordergründig politische Themen abhandelt, sondern weil sie diese Kraft der Negation besitzt. Sie zeigt auch mit Adornos berühmten Worten, dass das, was ist, nicht alles ist, und setzt den realen Verhältnissen eine andere, wenn nicht bessere Welt, so doch eine künstlerische utopische Welt gegenüber. Denn es liegt in der Kunst immanenten Katharsis, dass sie unseren Alltag und unser Weltbild ins Wanken bringt, dass sie uns zum Nachdenken über unsere Gewohnheiten, Gedanken und Gefühle, unser Schicksal und Motive bringt.
Und so sehen wir bei Hrdlicka keine propagandistische Politprop-Kunst. Da werden keine einfachen Antworten gegeben, da zeigt einer schonungslos die Dichotomie von Gut und Böse, revolutionärem Glanz und blutrotem Schatten, Laster und Tugend auf. Da schreit einer etwa in seinen Zyklen zur französischen Revolution oder zum nationalsozialistischen Terror die Widersprüche von Befreiung und Terror und Gewalt, Verführung und Enttäuschung geradezu heraus. Mit Zeichnungen wie zu Dantons Tod und zum Kopf des enthaupteten Königs, des Bürgers Capet oder wie mit dem „Himmel auf Erden“ oder Arbeiten zur Hölle des Freislerischen Volksgerichtshofes.
Schuf Hrdlicka letztlich Bilder existentieller Leidenschaften und Verirrungen, so ist auch „Himmel auf Erden“ kein Abziehbild politischer Maximen und Klischees, nein, es ist die Dialektik von Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt, die seine Arbeiten so anziehend macht.
Hrdlickas Werke verhandeln Politik als zwischenmenschliches Phänomen.
Im Mittelpunkt stehen die Komplexität menschlichen Handelns und menschlicher Beziehungen in einer gesellschaftlich und politisch immer komplexer werdenden Welt. „Himmel auf Erden“ lässt einen bal macabre menschlicher Leidenschaften und Verwerfungen, Hochmut und Eitelkeit vor uns erstehen. Politischen Träumen steht die Endlichkeit des Seins, der Tod gegenüber. Menschliche Existenz und politische Utopie werden zu einer fortwährenden Dialektik, ein sich perpetuierender, fruchtbarer Widerspruch.
Denn große Kunst ist niemals Teil einer politischen Praxis, ordnet sich nicht ideologischen Vorgaben unter. Die Sphäre der Kunst ist die des symbolischen Handelns, was zugleich auch ihr im Gegensatz zur Politik unerschöpfliches utopisches Potenzial darstellt. Ihre Utopie ist fern der politischen Heilsversprechungen, sie ist imaginär und symbolisch. Sie wagt das Undenkbare und bisher nie Gesehenes. Sie provoziert, weil sie verunsichert, weil sie unsere Gewissheiten zurückweist, und sich unserem Alltag verweigert.
Der französische Philosoph Jean Francois Lyotard hielt fest, dass „das Widerständige des Materials und die Resistenz des Körpers in der Kunst ... die Verwundbarkeit unseres Daseins“ , daran erinnern, „dass der Körper sterblich ist, dass er zerreißen kann und der Schändung aussetzbar ist“. Diesen ewigen Bezug auf die „Existenz“, auf das „nackte Leben“ (Giorgio Agamben) herzustellen, ist letztlich die größte Leistung der Kunst. Und hierfür steht Hrdlickas „Himmel auf Erden“.