Ich erinnere mich, wie mein Vater über Dich sprach, und auch wenn er Dich einen Verrückten nannte, schwang da doch immer große Wertschätzung mit für unseren Verwandten, für den Künstler, für das Andere, für das Kontroversielle, das lustvolle Ausbrechen aus Kleingeist und geistiger Genügsamkeit, ja für das Abenteuer, und so war in meiner Kindheit und Jugend Gottfried Bechtold meine erste und faszinierende Begegnung mit einem Künstler und der Kunst.
1972 lud der große Kurator Harald Szeeman den blutjungen Gottfried Bechtold zu seiner legendären Dokumenta V in Kassel ein. Schon damals zeigte sein Projektvorschlag, sich und seine Familie in einer Vitrine auszustellen, was er vom Gegensatz von Kunst und Leben, Museum und öffentlichem Raum hält, „nämlich rein gar nichts“.
Gottfried Bechtolds Karriere ist auch mit den Anfängen der international erfolgreichen und in Wien beheimateten Galerie Krinzinger verbunden. Sein Betonporsche, den er vor dem Galerienraum aufstellte, brachte „die zeitgenössische Kunst quasi als Skandal erstmals nach Bregenz“. Bechtolds Betonporsche setzte den Anfang einer ungewöhnlichen Künstlerlaufbahn, die vom Überfahren eines Schweinekörpers mit einer Plattwalze über seine wunderschöne Skulptur „readymaid“ („Mädchen!“) am Vorplatz des Festspielhauses bis hin zu seinem Signaturenprojekt reicht.
Früh löste sich Bechtold in Auseinandersetzung mit der amerikanischen Land Art, der Minimal und Concept Art von traditionellen Gestaltungsformen und fand zu einer multimedialen künstlerischen Sprache. So fühlt sich Bechtold im österreichischen Mainstream des expressiv Gestischen, des Psychoanalytischen, des Theatralen und Rituellen, das spritzt, übermalt, schreit, Possen reißt, nicht heimisch. Er sagt: „Es sind die Technik, die Philosophie, die Physik, die Mathematik, die Wissenschaften, die mich interessieren.“
Gottfried Bechtolds Liebe gilt dem Werk Marcel Duchamps, er paraphrasierte „Nu descendant un escalier no. 2“, in dem er Kim Basinger eine Treppe hinabsteigen ließ. Und mit seinem Meisterwerk „Signatur 02“, dem von ihm signierten Silvretta Staudamm befreit er Duchamps Idee des „Readymades“ von ihrer musealen Auratisierung, stellt sie quasi auf den Kopf und vollendet sie dadurch.
Mit der Applikation seiner Unterschrift verwandelte er nicht nur den gigantischen Staudamm in ein Kunstwerk, sondern thematisierte auch die Zwangsarbeit bei der Erbauung des Staudammes. So lotet Bechtold immer wieder nicht nur die Grenzen des skulpturalen, sondern auch jene der gesellschaftlichen Konventionen und Gewissheiten aus.
Gottfried Bechtold blieb bei aller seiner inhaltlichen und medialen Vielfalt immer der Bildhauerei treu, ob er mit seiner 21 Meter langen, fast 1000 Kilogramm schweren Stahlschiene, der Skulptur „Kofler“, die Schwerkraft zum Maß der Form machte oder mit seiner – leider zerstörten – interkontinentalen Skulptur auf dem Vorplatz des UNO-Gebäudes in Wien Urgesteine zwischen 60 und 100 Tonnen installierte.
Auch wenn er mit unterschiedlichsten Medien von Fotografie, Film, Video, Performance, Aktionen, Objekten, Textarbeiten, objets trouvés arbeitete, Bechtold suchte immer den Bezug zur Skulptur, zum räumlich erfahrbaren Objekt, zur Wirklichkeit, zum Alltag, zum Leben. Bloße gedankliche Konstrukte oder weltfremde Konzepte genügten ihm nicht. „So war die Staumauer für mich ein vorgefundenes Objekt, in Form einer 660 Meter langen, 80 Meter hohen Betonskulptur, und die wurde von mir signiert. Ich habe das readymade aus dem Museum entfernt und in die Natur zurückgebracht.“
Seine Werke machen Bechtold zu einem österreichischen Ausnahmekünstler. Der verstorbene Medienkunstpionier und Direktor des Karlsruher ZKM Peter Weibel reihte ihn in die Reihe jener führenden internationalen Künstler wie Buren oder Smithson ein: „Bechtolds Werk steht exemplarisch für die radikale und nachhaltige Überwindung des traditionellen Skulpturbegriffs.“
Bechtold ist einer jener Künstler, die mit ihren Arbeiten virtuos den öffentlichen Raum zum künstlerisches Aktionsfeld machen, einer der politisch ist, ohne sich je politisch vereinnahmen zu lassen oder gar dem Korsett politischer Korrektheit zu unterwerfen. Mit „Unser Mann“ mischt er sich virtuos und spielerisch in den öffentlichen politischen Diskurs ein. „Unser Mann“, das Porträt eines Mannes in den besten Jahren, in Anzug und Krawatte, Vertrauen erweckend in die Zukunft blickend, freundliches Lächeln. Das Konterfei des Künstlers als Politiker, einer, dem man zutraut, die Probleme der Zeit zu lösen. Nur, dass in das gleichbleibende Bechtold-Porträt von Tag zu Tag immer wieder ein anderes Logo einer wahlwerbenden Partei einkopiert wird, FPÖ, SPÖ, ÖVP. Bechtold macht so das Plakat zum Symbolraum eines postideologischen entkernten Allerweltpolitikers. Es geht nicht um Inhalte, sondern um Affektmassage, nicht um Handeln, sondern um Repräsentation, nicht um den Dienst am Gemeinwesen, sondern um die hohle Konsumation einer Leere, die sich als Macht maskiert.
Bechtold ist einer, der keine kleine Brötchen bäckt, bei dem aber Megalomanie nichts mit Größenwahn, sondern mit Mut, unbändigem Gestaltungswillen und geistiger Brillanz zu tun hat. Seine Arbeiten in ihren intellektuellen und oft auch physischen Ausbrüchen sprengen oft alle Dimensionen. Bechtold zieht das grandiose Scheitern einem mittelmäßigen Kompromiss vor. So versuchte er über mehrere Jahre hinweg (ab 1980), den vorderen Teil einer Herkules Transportmaschine nach Wien zu bringen, um sie im Palais Liechtenstein, damals das Museum Moderner Kunst, mit dem barocken Illusionshimmel von Andrea Pozzo zu konfrontieren. Der Besucher aus dem Cockpit der Maschine sollte einen spektakulären Blick auf die barocken, über ihm schwebenden Engel werfen können.
Treffen mit dem US-amerikanischen Verteidigungsminister Kaspar Weinberger, der Bechtold seine Unterstützung zusagte, bis zu dem Tod eines Waffenhändlers in Angola, der der Lieferung eines Cockpits am Ende im Wege stand, ließen die Idee dieses Kunstwerks zu einem realen Abenteuer werden. Bechtolds großer Obsession, gilt seinen Porsche-Projekten, seinem Lebensprojekt. Mit seinem „Betonporsche“ thematisierte er wie so oft in seiner Arbeit ein Paradoxon. Da ist das Phänomen Auto, Geschwindigkeit, Schönheit des Materials und der Form, menschlicher Erfindungsgeist, Wunder der Technik, andererseits quasi reziprok, Schwere, Stillstand, Unbeweglichkeit, Verkehrsinfarkt, Energieverbrauch, menschliche Destruktion zwischen Aggression, Unfall und Zerstörung der Umwelt.
Mit seiner Trilogie „Signatur“, dem signierten Staudamm, mit der durch die Sonne im Schnee schmelzenden Signatur und der mit einer tonnenschweren, durch Österreich fahrenden, signierten Lok, einem der wohl mobilsten und gleichzeitig schwersten Kunstwerke, die je geschaffen wurden, kehrt Gottfried Bechtold zu seinen Kernthemen zurück, der Beschäftigung mit unterschiedlichen Energiezuständen, mit Gewicht und Geschwindigkeit, Materialität und Immaterialität.
Gottfried Bechtold vergleicht seine Rolle als Künstler gerne mit der eines Testpiloten. Lieber Gottfried, ich wünsche Dir weiter viel Glück bei Deinen waghalsigen künstlerischen Flügen, Kapriolen und wie mein Vater sagte „Verrücktheiten“. Wie verklärte einst Hans Albers das Abenteuer Fliegen: Flieger grüß mir die Sonne und bring mir eine, in deinem Fall Gottfried, noch viele künstlerische Sternschnuppen mit nach Hause.