Es sind mehr als 15 Jahre vergangen, als ich deine Arbeiten in der Kunsthalle Wien zeigen durfte. Eine der zentralen Arbeiten war ›The Women of Allah‹, eine Arbeit, die dich sehr bekannt machte — immer noch eine deiner wichtigsten Arbeiten?
Ja, das war die Serie mit einer Frau, die mit einem Hidschab verhüllt war und deren Hände und Gesicht mit Kalligrafie und Gedichten versehen waren. Vier Elemente bestimmen diese Bilder: eine Waffe, der Schleier, der weibliche Körper und der Text, die Kalligrafie. Die Arbeit fokussierte sich auf die islamische Revolution im Iran und das Konzept des Märtyrertums, das sich institutionalisiert hatte und das so viele Leute dazu ermutigte, im postrevolutionären Iran freiwillig zu töten und sich töten zu lassen. Sie entstand von 1993 bis 1997. Dabei ging es mir auch um das Phänomen weiblicher Militanz, das durch die Regierung gefördert wurde. Ich denke, dass die Bilder — heute betrachtet — immer noch die Realität der muslimischen Bevölkerung und das Konzept von Tod, Gewalt, Terrorismus und vor allem Märtyrertum widerspiegeln.
Das Märtyrertum scheint eine besonders wichtige Rolle in der islamischen Kultur zu spielen. Warum?
Die Arbeit stellte auch Fragen an mich selbst. Indem ich versuchte, mich tief in den psychologischen und philosophischen Raum von Menschen einzufühlen, kam ich auch meinen kulturellen und persönlichen Prägungen näher. Die Tatsache, dass jemand bereit ist für seine hingebende Liebe zu Gott sein Leben, ja seine Welt zu opfern, ist faszinierend wie beängstigend und als verführerische Ideologie abstoßend zugleich.
2012 hast du dich diesem Phänomen des Martyriums und des Opfers aus Überzeugung mit der Arbeit ›The Book of Kings‹ wieder gestellt.
Aber diesmal ging es mir weniger um religiöse Motive als um die Jugend, die 2009 der Grünen Bewegung folgte. Ein Enthusiasmus, der auch den Arabischen Frühling prägte, eine Bewegung junger Menschen, die mehr Demokratie und Freiheit verlangten, ohne eine Verbindung mit Religion zu haben. Sie brachten sich selbst, brachten ihr Leben in Gefahr, trotzten der Armee auf den Straßen und viele von ihnen wurden eingesperrt, vergewaltigt oder getötet. Unter ihnen waren auch viele Frauen aus allen Schichten.
In einem ›Spiegel‹-Artikel wird deine Arbeit sehr gewürdigt, gleichzeitig aber auch ihre Perfektion und Schönheit hinterfragt. Ist Schönheit ein Anliegen für dich?
Mir geht es um mehr als Schönheit, eigentlich um Poesie. Als Iranerin bin ich einerseits tief verwurzelt in der Schönheit einer allegorisch-poetischen Sprache, andererseits dem Einfluss von Politik, Gewalt, Unterdrückung und Brutalität ausgesetzt. Schönheit und Poesie sind für mich auch eine Antwort, eine Form des Widerstandes gegen die allgegenwärtige Gewalt. Auch wenn sich meine Arbeit auf die politische Dunkelheit, Gewalt, Unterdrückung und auf Schmerz bezieht, steht demgegenüber stets eine unglaubliche Poesie, Ästhetik und Harmonie der Menschen, die uns an die Humanität in uns allen erinnert. Das hat nichts mit Dekoration zu tun, sondern vielmehr auch mit einem Paradox tief in mir selbst.
›The Book of Kings‹ entstand 2012, auch in Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling — dessen Niederschlagung traf dich zutiefst und machte dich zu einem politischen Wesen, aber wohl nicht auch zu einer politischen Künstlerin.
Natürlich sind da meine persönlichen Befindlichkeiten und Leiden, Dinge, die ich persönlich erlebt habe. Ich bin aber nicht daran interessiert, eine Arbeit über mich selbst zu machen, ich denke, da gibt es so viele interessantere Anliegen, die tiefer gehen als mein persönliches Leben. Dennoch bin ich im Konflikt mit meinen tief verwurzelten persönlichen Ängsten, meinem Schmerz als menschliches Wesen und gleichzeitig mit meinen Gefühlen um die Schmerzen anderer.
Eine türkische Freundin von mir meinte, dass es besser wäre, anstelle von Frühling von Arabischem Winter zu sprechen. Der Protest habe nicht die Freiheit gebracht, sondern die Herrschaft religiöser Fanatiker.
Ja, das mag sein, aber es war ein Moment der großen Hoffnung. Ich war zur Zeit des Arabischen Frühlings in Ägypten, um für meinen Film zu recherchieren. Da war eine frische, wirklich echte Bewegung. Da waren ein ungeheurer Optimismus und ein großes Potenzial für gute Entwicklungen, aber all der Enthusiasmus wurde missbraucht und die Revolution gestohlen von Leuten, denen es nur um die Macht ging. Doch die Erhebung war aufrichtig und etwas noch nie Dagewesenes. Für mich vielleicht auch das Inspirierendste und Begeisterndste, was ich in meinem Leben sehen durfte. Aber vielleicht war die Bewegung auch zu euphorisch und hätte niemals fortleben können. Aber du hast Recht. Es ist sehr deprimierend, in welcher Weise sie kompromittiert wurde.
Ist die Kunst im Westen zu weit entfernt vom Leben, von existentiellen Fragen des Seins?
Absolut, ich glaube, jeder westliche Künstler ist in gewissem Maße schuldig, sich vom Markt vereinnahmen zu lassen. Natürlich müssen wir alle überleben, aber ich denke, viele Künstler wurden zu reich, zu komfortabel und zu vernarrt in die Idee der Kunst als reine Ware. Da herrscht zu wenig Bewusstsein darüber, sich zu fragen: Warum wurden wir Künstler? Für wen? Für was arbeiten wir? Im Westen ist die Freiheit des Ausdrucks zu selbstverständlich, eine Art Komfortzone. Da gibt es so viel Unterstützung, aber keine Situationen, in denen Künstler wirklich auf die Probe gestellt werden, ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft beweisen zu müssen und keine Situationen, in denen sie beweisen müssen, ob sie bereit sind, dafür einen hohen Preis zu zahlen.
›Women Without Men‹ ist mithin auch ein Film über die Rolle der Frauen im Islam, die eine wesentliche Rolle in den aktuellen Islam-Debatten spielt.
Die Frauen im Mittleren Osten waren meine größte Inspiration und Hoffnung, weit über den westlichen Feminismus hinaus, da sie wahrhaft gegen eine Mauer aufgestanden sind — ein Widerstand, wie man ihn bei den muslimischen Männern im Mittleren Osten nicht sehen kann. So war jede meiner Arbeiten, von den Fotografien über die Videos bis hin zu den Filmen, eine Feier dieser Form des Feminismus, der von Generation zu Generation seinen schweren Kampf führt. Auch mein neuer Film über Umm Kulthum ist nicht nur ein Tribut für die zur Ikone gewordene Sängerin des Nahen Ostens, sondern für eine unglaublich starke Frau.
Sie war die arabische Edith Piaf?
Ja, für mich war sie die bedeutendste, inspirierendste Künstlerin des 20. Jahrhunderts in der muslimischen Welt. Mein Film über sie ermöglicht eine Konversation über einen Teil der Welt, den wir immer noch nicht besonders gut kennen, wirft Licht auf eine Kultur, ihre Humanität und Gemeinsamkeit. Indem ich mich quasi in eine andere künstlerische Welt und Person versetze habe, habe ich auch ungeheuer viel über mich selbst gelernt. Der Film war auch eine Art Selbstbefragung.
Du hast auch mit der Sängerin Sussan Deyhim zusammengearbeitet. Der Titel des Films war ›Logic of the Birds‹. Wie wichtig ist Musik für dich?
Enorm wichtig. Musik greift die Emotionalität meiner Arbeit und mein Interesse für Mystizismus und Poesie, ja das Humane, in uns auf. Musik ist zeitlos, universell, übersteigt Übersetzungen und kulturelle Grenzen, trifft dich im Innersten und so soll auch meine Arbeit auf die Menschen wirken.
Liebst du auch die Oper?
Als Markus Hinterhäuser, der Intendant der Salzburger Festspiele, mir großzügig die Regie für eine Oper und dann gleich für die Aida anbot, fragte ich ihn, ob er sich lustig über mich mache wolle. Denn die Oper war eine Welt, mit der ich bislang weder als Künstlerin noch als Besucherin viel zu tun hatte. Vielleicht reizte mich die Aufgabe aber gerade deshalb. Und ich begann zu lernen. In der ›Metropolitan‹ hatte ich einen wunderbaren Lehrer, der Leiter des Opernchores, der mich in die Welt der Oper einführte und ein Feuer in mir entfachte, das mir für Salzburg Mut machte. Mir wurde klar, dass das, was ich bisher gemacht habe — meine Fotos, Filme und die Musik —, nicht so unterschiedlich zur Oper waren. Die Gefühle, die sie ausdrücken, sind alle zutiefst mit der Kraft und Magie der Musik verbunden.
Die richtige Oper für dich?
Ja, perfekt. Eine Geschichte voller Emotionen und Schmerz, eine Zerrissenheit zwischen Unterdrückung, Aufbegehren, Fanatismus, Gewalt, Machtstreben und unglaublicher Liebe. All das hat mich inspiriert und ich fand die richtigen Partner, Riccardo Muti und Anna Netrebko, geniale Künstler.
Glaubst du noch daran, dass Kunst die Welt verändern kann?
Ja, definitiv, Kunst kann das Leben verändern. Ich erinnere mich, was die ersten Filme für mich bedeuteten. Danach war mein Leben nicht mehr dasselbe. Ich glaube an die Ernsthaftigkeit der Kunst, daran, dass sie das Denken, das Bewusstsein verändern kann. Nichts auf unserem Planeten kann uns im wahrsten Sinne des Wortes so bewegen und so viel Hoffnung geben wie ein großes Musikstück, eine wunderbare Theateraufführung oder ein herausragendes Bild. Ich glaube an diese Kraft der Kunst und hoffe mit Gott, dass nichts diesen Glauben kompromittieren wird, solange ich lebe.