Die wiederkehrenden Protagonisten Ihrer Kriminalromane sind Kriminalinspektor August Emmerich und sein Assistent Ferdinand Winter, ein ungleiches, aber kongeniales Paar. Warum eine Teamlösung?
Wien war damals ein Schmelztiegel der Kulturen, in dem sich Menschen aus verschiedensten Nationen und Schichten tummelten. Die Kombination aus Emmerich, der aus der Unterschicht stammt, und Winter, einem Vertreter des ehemaligen Adels, bietet mir die Möglichkeit, diese Vielschichtigkeit besser darzustellen und den Lesern und Leserinnen Einblicke in unterschiedliche Milieus und Ideologien zu geben.
Die Zwischenkriegszeit scheint von Kastners Fabian, der Geschichte eines heraufdräuenden Nationalsozialismus, verlorenen Moralisten bis hin zu Berlin Babylon, einer Kriminalgeschichte vor dem Hintergrund der zerfallenden Weimarer Republik, en vogue zu sein. Auch Ihre Romane spielen im Wien der 1920 und 1930er Jahre. Die Stadt, in der Kriminalinspektor August Emmerich seine Kriminalfälle löst, ist ein Ort der Extreme, zwischen wirtschaftlicher Not, politischen Unruhen und Radikalisierung, wildem Nachtleben und spektakulärer Kriminalfälle. Was macht diese Zeit für Sie so interessant?
Ich finde die Zeit der Ersten Republik äußerst spannend, da sie weniger bekannt ist als beispielsweise die k.u.k.-Ära oder die Jahre im und rund um den Zweiten Weltkrieg. Außerdem war es eine sehr düstere und gleichzeitig aufregende Zeit voller Innovationen und politischer Umstürze. Das Reich war auseinandergebrochen, die Monarchie Geschichte. Überall herrschte Not. Es gab kaum etwas zu essen, zu wenig Brennmaterial, kaum Medikamente, Kleidung oder Schuhe. Wien war damals sehr desolat. Es gab zu wenig Wohnraum und Arbeit, Krankheiten Typhus, Cholera, Tuberkulose grassierten, die Menschen hungerten und froren, und die Nachwehen des Kriegs waren überall spürbar.
Die von Ihrer literarischen Arbeit überzeugte Jury des renommierten Leo-Perutz Preises ließ sich durch einen letzten Satz eines Ihrer Romane trösten: ›Die Geschichte war noch nicht vorüber.‹ Erzählen Ihre Geschichten von einer Welt von gestern oder spiegelt sich in Ihrem Blick in die Vergangenheit gar eine beunruhigende Zukunftsvision?
Es gibt — leider — einige Parallelen, wie zum Beispiel das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Die Kluft zwischen Arm und Reich weitet sich, und es gibt viele Verlierer. Politische Hetzer profilieren sich wieder mit Feindbildern, denen sie die Schuld für die vorherrschenden Zustände in die Schuhe schieben. Desinformationen werden bewusst verbreitet, radikales Gedankengut wird salonfähig. Schon Ingeborg Bachmann sagte: ›Die Geschichte lehrt andauernd. Sie findet nur keine Schüler.‹
Wie entsteht aus einer ersten Idee ein Roman? Gibt es da einen Generalplan oder ergibt sich die Geschichte auch beim Schreiben? Sind Sie manchmal selbst überrascht?
Ich plane meine Geschichten zwar, bevor ich mit dem eigentlichen Schreiben beginne, doch oft verselbständigen sich die Figuren. Dann kann es sein, dass ich in der Mitte des Buches alles über den Haufen schmeißen und neu strukturieren muss.
Ihren Romanen scheinen umfangreiche historische Recherchen voranzugehen. Wieviel ist letztlich Fiktion, wieviel historische Wahrheit? Wie sehen Sie das Verhältnis von Imagination und Realität, zwischen Finden und Erfinden in Ihren Romanen?
Für die historischen Stoffe ist es wichtig, so tief wie möglich in die jeweilige Epoche einzutauchen. Bevor ich mir eine Handlung ausdenke, versuche ich so viel Zeitkolorit wie möglich zu erfahren und lese deswegen alle Zeitungen, Magazine, Biografien, politischen Abhandlungen etc., die ich in die Finger kriege. Die vielen angesammelten Fakten, Berichte, Anekdoten fügen sich irgendwann zu einem Gesamtbild, in das ich dann ein Verbrechen einbaue. Kurzum: Die Handlung ist erfunden, sämtliche Rahmenbedingungen sind real. In jedem meiner Bücher gibt es übrigens ein Nachwort, in dem ich genau erkläre, was Fakt und was Fiktion ist.
Sie haben an der Fachhochschule Vorarlberg Prozess- und Projektmanagement studiert und nach einer zweijährigen Tätigkeit in der Werbebranche ein Studium der Archäologie begonnen. Wie wurde aus Daniela Larcher eine erfolgreiche Kriminalschriftstellerin?
Ich war nach meinem Studium als Projektassistentin in einem New Yorker Verlag tätig und bin dort zu der Erkenntnis gelangt, dass die Arbeit auf der kreativen Seite schöner ist. Die rund eineinhalb Stunden, die ich jeden Tag in der U-Bahn quer durch Brooklyn verbracht habe, habe ich genutzt, um mein erstes Buch zu schreiben. Damit hat alles begonnen und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.
Warum haben Sie ein Pseudonym gewählt? Ich hielt Alex Beer für einen Mann, Alex, eine bewusste Doppeldeutigkeit?
Bei meinen ersten Büchern, die ich unter meinem bürgerlichen Namen veröffentlicht habe, handelte es sich um so genanntes ›cosy crime‹. Die neuen historischen Reihen um August Emmerich und Isaak Rubinstein sind ganz anders geworden. Düsterer, kälter und härter. Es war mir sehr wichtig, dass durch einen etablierten Namen keine falsche Erwartungshaltung geschürt wird, weswegen ich mich entschieden haben, unter Pseudonym zu veröffentlichen. Abgesehen davon, dass der Name kurz und einfach zu merken ist, habe ich Alex Beer gewählt, weil ich den Namen für eine Art weiße Leinwand hielt. Alex Beer kann theoretisch alles sein: Frau/Mann, alt/jung, national/international … Interessanterweise halten sehr viele Menschen Alex Beer für einen älteren Herrn, keine Ahnung warum. Eine meiner besten Freundinnen heißt Alexandra und wird auch Alex genannt.
Was fasziniert Sie am Verbrechen? Sind Gut und Böse überhaupt Kategorien, die Ihren Geschichten immanent sind?
Ich denke nicht, dass es das absolute Gute oder das absolute Böse gibt, außerdem sind es die verschiedenen Graustufen, die ich besonders interessant finde. Spannend finde ich auch den Aspekt, dass der Mensch im Kern stets derselbe bleibt. Wenn wir uns etwa die Bibel ansehen, so finden wir viele Motive wie Habgier, Eifersucht und andere, die bis heute unverändert existieren. Die äußeren Umstände haben sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt, doch der emotionale Kern des Menschen ist derselbe geblieben.
Von Agatha Christie bis Patricia Highsmith haben Frauen die Geschichte des Kriminalromans entscheidend geprägt. Haben Frauen einen anderen Zugang zum Genre, zu Verbrechen und Gewalt?
Ich denke, das müsste man historisch betrachten, was hier den Rahmen sprengen würde. Frauen hatten über viele Jahrhunderte hinweg nicht die Möglichkeit, sich zum Beispiel bei einem Duell Satisfaktion zu verschaffen oder in den Krieg zu ziehen. Sie mussten andere Möglichkeiten ersinnen, jemanden aus dem Weg zu schaffen. Ihre Methoden verlangten nach mehr Strategie, Vorbereitung und Raffinesse. Und genau das sind auch die Aspekte, die es braucht, um einen guten Krimi zu schreiben.
Wer ähnelt in seiner Arbeit und seinem Charakter Ihrem Kommissar Emmerich, Simenons Jules Maigret, Glausers Wachtmeister Studer, Mankells Kurt Wallander oder vielleicht ein anderer Kommissar, der mir nicht in den Sinn kommt?
Am ehesten kommt von den eben genannten wahrscheinlich Wallander in Frage. Er ist auch rau und vom Leben gezeichnet.
Ein ORF-Bericht lobte Ihre Arbeit mit dem Satz: ›So geht Krimi.‹ Wie geht Krimi, gibt es da ein Rezept, Ihr Rezept? Was macht einen guten Kriminalroman aus?
Rezept gibt es leider keines. Oder sollte ich sagen ›Gott sei Dank?‹ Figuren sind wichtig, eine eigene Erzählstimme und natürlich ein spannender Fall, der logisch aufgelöst wird.
Sie waren von Anfang an ungemein erfolgreich. Sie erhielten einen Vertrag bei Random House und von der Auflage Ihrer Bücher können andere Autoren nur träumen. Was macht Ihrer Meinung nach Ihren Erfolg aus? Haben Krimiautoren bessere Marktchancen? Sind Krimis nach wie vor populär?
Das Genre des Kriminalromans ist tatsächlich ungemein populär, damit aber natürlich auch hart umkämpft. Was daher sehr wichtig ist, ist Sichtbarkeit. Man muss einen Weg finden, aus der Masse herauszustechen. Ich hatte Glück. Durch das historische Setting konnte ich mich gut von den Werken der Mitbewerber:innen abgrenzen. Das Wien der 1920er Jahre ist sozusagen mein Alleinstellungsmerkmal.
Traditionell galten Krimis im Literaturbetrieb als gering geschätzte Trivialliteratur, die für ein breites und wenig anspruchsvolles Lesepublikum geschrieben wird. Müssen Sie sich immer noch mit solchen Vorbehalten auseinandersetzen?
Es wird besser. Früher waren die Vorbehalte stärker. Mittlerweile hat sich das Bewusstsein etabliert, dass auch Dostojewskis ›Verbrechen und Strafe‹ eigentlich ein Kriminalroman ist, auch Fontane oder Dürrenmatt haben Krimis geschrieben. Ich denke, dass die Grenzen zwischen ernsthafter und unterhaltender Literatur immer mehr verschwimmen. Das finde ich gut. Wichtig ist doch, dass die Menschen überhaupt noch lesen.
Woran arbeiten Sie zur Zeit, wovon wird Ihr neuester Roman handeln?
Momentan arbeite ich am Auftakt einer neuen Krimireihe. Es geht nach Berlin ins Jahr 1878. Protagonisten sind der Meisterdieb Felix Blom und eine ehemalige Prostituierte namens Mathilde Voss, die eine Detektei betreibt.
Apropos, Ihre Kommissare sind Männer und agieren in einer historischen Welt …
Weibliche Ermittlerinnen waren für mich bisher schwer zu etablieren. Das hat damit zu tun, dass Frauen in der Zeit, in der meine Romane angesiedelt sind, der Zugang zum Polizeidienst verwehrt blieb. Mit Mathilde Voss, einer Privatdetektivin, die ab Oktober an der Seite von Felix Blom ermitteln wird, ist mir aber — wie ich hoffe — eine tolle Frauenfigur gelungen.