Ein wunderschönes, reiches Leben

Dr. Gerald A. Matt / Gregor Henckel Donnersmarck

Ein wunderschönes, reiches Leben

Dr. Gerald A. Matt / Gregor Henckel Donnersmarck

Wird die Corona-Epidemie unser Leben nachhaltig verändern, ein Leben weg von Konsumismus und Egoismus? Ist diese Krise auch eine Chance für die Religion?

Sie wird unser Leben verändern. Ob es eine Umkehr zur Religion geben wird, wage ich zu bezweifeln. Ich würde es mir jedenfalls wünschen.

Hollywood-Filme kultivieren entweder das romantische Bild kahlköpfiger, in Kutte gekleideter Männer, die besinnlich und brüderlich beten, im Garten werken oder in Bibliotheken in alten Büchern schmökern oder wie ›Im Namen der Rose‹ intrigieren und sich gelegentlich umbringen. Wie sieht das klösterliche Leben wirklich aus?

Hollywood hat mit der Wirklichkeit so wenig gemein wie mit dem Kloster. Romantisch oder gar mörderisch ist das Klosterleben nicht, aber es ist ein wunderschönes, reiches Leben, weil es zu den wichtigen Dingen führt.

Gibt es so etwas wie Freizeit oder — weiter gefasst — so etwas wie Freiheit im Klosterleben?

Es gibt täglich Zeiten der Ruhe, Zeiten für sich selbst, und jeder Mitbruder hat die Möglichkeit von drei Wochen Ferien im Jahr. Das Kloster ist kein Gefängnis, ins Kloster geht man aus freien Stücken und hat Zeit, sich — bis zu fünf Jahren — zu prüfen. Und man kann es ja auch wieder verlassen. Die Entscheidung für ein Kloster ist letztlich ein Akt unserer persönlichen Freiheit.

Ein Kloster ist primär Gemeinschaft, was bleibt vom Individuum? Und fühlt man sich in der Gemeinschaft nicht auch einsam?

Ich denke, dass die Individualität im Kloster sogar wächst. Ich habe noch nie so viele Originale vorgefunden wie in der klösterlichen Gemeinschaft. Und einsam, nein, ich habe die Einsamkeit oft sogar gesucht und gefunden, in der Zelle und im Gebet.

Exerzitien, Meditation, Einkehr im Kloster sind in Mode gekommen. Wird das Kloster zunehmend zu einer Art Seelenheilanstalt für saturierte Wohlstandsbürger? Kann es ein christliches Leben auf Zeit geben?

Ich sehe nichts Schlechtes darin, dass das Kloster Menschen in der Hektik des Alltags Ruhe und Besinnung anbietet. Christ zu sein ist eine grundsätzliche Entscheidung, das hat weder mit Fanatismus noch Freizeitverhalten zu tun, sondern mit Konsequenz.

Das Kloster scheint eine Art Insel der Seligen, eine Enklave der Besinnung und des Glaubens zu sein. Lebt man im Kloster in einer Parallelwelt abgeschnitten von der Realität draußen?

Ganz und gar nicht! Ein Mitbruder hat einmal gesagt, dass sich das Kloster zur Welt so verhält wie der Suppenwürfel zur Suppe: Es ist einfach konzentriertes Leben! Und von der Welt abgeschnitten sind wir schon gar nicht! Wir sind durch die Seelsorge, die Wirtschaftsbetriebe mit ihren täglichen praktischen Forderungen und Problemen aber auch durch unsere Hochschule und ihre internationalen Studenten eng mit der Welt verbunden. Wir führen Wirtschaftsbetriebe, für die wir soziale Verantwortung tragen. Wir sind ein aktiver Teil, aber vor allem auch alternativer Teil der Welt.

›Ora et labora‹, ein Rezept für ein glückliches Leben? Was könnte die Gesellschaft vom Klosterleben lernen?

Die Regel des Heiligen Benedikt zielt auf eine Balance zwischen Arbeit und Gebet, die aber den Glauben ins Zentrum des Lebens setzt, eine Devise, die auch für das Leben außerhalb des Klosters gilt. Wer nur arbeitet und das Geistige und die Besinnung verdrängt, wird am Leben scheitern.

Sie entstammen der alten schlesischen Adelsfamilie Henckel von Donnersmarck. Hat der Satz ›Adel verpflichtet‹ in Ihrem Leben noch irgendeine Bedeutung?

Ich bin so erzogen worden, dass ich mir auf meine Familie nichts einbilde. Und das hat sich nach der Flucht erst recht nicht geändert. Aber wir haben uns immer als Katholiken verstanden und den Glauben zu leben und sichtbar zu machen, auch als adelige Verpflichtung gesehen. Das hat auch mit der Tradition des europäischen Adels aus der christlichen Ritterschaft heraus zu tun.

Sie selbst waren lange Jahre in führender Funktion in der Wirtschaft tätig. Mit 34 traten Sie in den Zisterzienserorden ein. Gab es da ein Initiationserlebnis?

Nein, ein markantes Erlebnis, das mich beeindruckt hätte, gab es nicht. Es war das schlichte nüchterne Bilanzziehen eines Diplomkaufmannes. Ich lebte religiös schlichtweg unter meinem Niveau. Das wollte ich ändern. Auch spürte ich in mir einen inneren Auftrag zu predigen.

Wie wurde ihr Entschluss in Ihrem Umfeld aufgenommen?

Meine Mutter war verzweifelt, ja aufgelöst, später aber hat sie es akzeptiert, mein Vater hatte viel Verständnis für die Suche nach einem geistlichen Leben. Und ein Neffe von mir sagte, ich sei nicht ein Spätberufener, sondern ein Spätgefolgter. Damit hatte er wohl Recht.

Die ersten Zisterzienser im 12. Jahrhundert nannten das Kloster ›Paradisum‹. Ist und war für Sie das klösterliche Leben ein Weg zum Glück? Oder gab es auch Enttäuschungen?

Ja, es gab Prüfungen, aber die gibt es auch im Leben draußen. Mein Glaube half mir, sie zu bewältigen. Belohnt wurde ich mit einem glücklichen und erfüllten Leben.

Das Leben als Priester und im Kloster bedeutet vor allem auch Verzicht. Welcher Verzicht fiel Ihnen am schwersten?

Die ehelose Keuschheit, eine Frau und Familie. Dafür durfte ich die geistliche Vaterschaft, insbesondere als Abt, erleben. Dem Verzicht auf Intimität stand der Gewinn an geistiger Tiefe und religiöser Durchdringung gegenüber.

Zweifelten Sie jemals?

Zum Glauben gehören auch der Zweifel sowie dessen Überwindung. Glauben kann man nur, wenn man genügend gezweifelt hat.

Besondere Bedeutung für Heiligenkreuz hat der gregorianische Choral in lateinischer Sprache. Da gibt es sogar einen Plattenvertrag mit Universal Music. Die Tonträger kletterten in den internationalen Musik--Charts an die Spitze und verkauften sich über eine Million mal. Ein Riesenerfolg und Anlass ungetrübter Freude?

Einerseits ja, das war gut für Apostolat und Missionstätigkeit. Wir haben tausende Mails erhalten, in denen Menschen uns für die meditative und liturgische Stärkung dankten. Anderseits war das aber auch zu viel Rummel um das Kloster bis hin zu einer ›Wetten, dass…‹ Sendung. Wichtiger für uns war wohl der Besuch von Papst Benedikt XVI, der wahrhaft ein großer Denker ist und den ich über die Maßen schätze. Er hat uns eine ganz tiefe Predigt geschenkt, die ich seitdem immer wieder zitieren kann.

Sie waren viele Jahre Abt des Klosters. Wie wird man Abt und was sind die Aufgaben des Abtes?

Das Amt kann man nicht anstreben. Da gibt es weder Kandidaten noch einen Wahlkampf. Es gilt: Wer es werden will, wird es nicht. Wer es nicht werden will, muss es werden. Da gibt es nur Gehorsam, man muss den Brüdern und ihrer Wahl gehorchen. So ging es auch mir. Abt kommt von Vater, Abba, damit ist die Aufgabe umschrieben. Er trägt die Sorge um das Wohl der Mönche und des Klosters.

Die Kirche scheint sich in einer anhaltenden Krise zu befinden. Wie soll die Kirche auf den Rückgang der Gläubigen, auf Kirchenaustritte, Priestermangel, Missbrauchsprobleme und insgesamt auf einen gesellschaftlichen Bedeutungsverlust reagieren? Wie lautet da Ihr Rezept: Reformen oder Konzentration auf die Tradition, Liberalisierung oder Radikalisierung?

Die Kirche war immer global und in ihrer globalen Dimension hat sie keine Krise. Europa befindet sich in der Krise, die bis tief in die Demographie hineinreicht. Außerhalb Europas nimmt die Kirche weiterhin zu. Die Defizite werden in Afrika und Asien überkompensiert. Wer in Europa ruft: ›Haltet den Dieb!‹ übersieht, dass er selbst der Dieb ist. Die Kirche kann sich nicht an der konsumistischen Welt orientieren, sie muss sich auf ihre zentrale religiöse Dimension konzentrieren. Und Glaube ist immer eine sehr persönliche Angelegenheit. Als Mutter Theresa von einem Journalisten gefragt wurde ›What has to be reformed in the church?‹ war ihre Antwort: ›me and you.‹ Als älterer Katholik habe ich auch das Zweite Vatikanische Konzil miterlebt, das radikale Veränderungen in der Kirche brachte und sie für die Zukunft positionierte, aber eben mit Veränderungen, die immer den Wesenskern des Glaubens erhalten wollen und nicht bloß an Strukturen herumbasteln, wie das die weltlichen Kritiker fordern. Reform und Tradition sind da keine Gegensätze.

Sie selbst haben in Interviews immer wieder auch mehr Respekt gegenüber dem Islam und Muslimen eingefordert, auch mehr Toleranz gegenüber den Anpassungsschwierigkeiten der Muslime. Gilt das auch nach dem brutalen Mord an einem französischen Lehrer?

Umso mehr bedarf es des friedlichen Dialoges zwischen den Weltreligionen und zwischen Christen und Muslimen, und zwar mit jenen, die wie wir eine friedliche Koexistenz wünschen. Gegen Fanatismus und Gewalt hingegen ist mit allen Mitteln vorzugehen. Aber auch hier muss Dialog gesucht werden, um Dialogfähigkeit zu bewirken. Liebt eure Feinde!

Inwieweit ist ein friedlicher Dialog zwischen den Religionen, die historisch in blutiger Konkurrenz standen, überhaupt möglich? Sie waren ja Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke, deren Ziel die Verbreitung des Glaubens ist. Die Wahrheit (der wahre Glaube) ist nicht teilbar. Besteht da nicht ein ewiges Konfliktpotential?

Man muss nicht von seinem Glauben abrücken, um den anderen zu respektieren. Im Gegenteil: Glaube bedingt erst Respekt. Der Dialog der Religionen muss auf menschlicher Basis ganz unten beginnen. Letztlich geht es um positive menschliche Kontakte. Der Dialog beginnt damit, dass man versucht, den anderen zu verstehen.

In Bezug auf das Verhältnis zwischen Katholizismus und Islam haben Sie von Reziprozität gesprochen. Was verstehen Sie darunter?

Wenn Muslime in Österreich Moscheen bauen, dann müssen auch Christen in Saudi-Arabien Kirchen bauen dürfen. Dass dies nicht so ist, hat auch damit zu tun, dass der Islam 622 Jahre jünger ist als das Christentum. Vor 622 Jahren waren wir auch nicht besonders weltoffen und liberal. Der Dialog, den Papst Benedikt auf Augenhöhe angestoßen hat, geht in die richtige Richtung. Reziprozität ist Benedikt und auch seinem Nachfolger Franziskus ein echtes Anliegen.

Sie haben von einer ›sehr selbstkritischen eurozentrischen Schuldhaltung‹ gesprochen und Europa als ›moralisch schwach‹ bezeichnet, das ›Selbst-Genozid‹ verübe. Wo versagt Europa?

Ja, Europa gibt sich zunehmend auf. Radikaler Liberalismus, Pragmatismus und Opportunismus gehen zunehmend vor ethisch-moralischen Werten. Die Geburtenraten gehen nach unten, die Tötung Ungeborener wurde legitimiert, die Tötung Alter und Kranker steht zur Debatte oder ist bereits möglich. Dabei will die Kirche in keiner Weise in die Demografie eingreifen, es geht ihr um die Würde von Frau und Mann und das Recht auf Leben.

Ist Gewalt zur Verteidigung höherer Werte legitim?

Ich lehne Gewalt ab, aber am Beginn des ›Islamischen Staates‹ in Syrien hatte ich plötzlich Verständnis für den Ruf nach militärischem Eingreifen, als die Christen in Syrien um Hilfe riefen.

Ihr Neffe Florian Henckel von Donnersmarck hat das Drehbuch für seinen mit einem Oscar ausgezeichneten Film ›Das Leben der Anderen‹ in Heiligenkreuz geschrieben. Thema des Films ist auch die Möglichkeit einer Versöhnung zwischen Opfern und Tätern. Inwieweit ist Versöhnung auch ein Thema für Sie?

Versöhnung ist eines der zentralsten christlichen Themen. Gott hat sich mit uns durch Jesus versöhnt.

Geht ein Priester, Seelsorger und Mönch jemals in Pension?

Er bleibt immer Priester und dient anderen Menschen. Schon unser Interview ist Teil meiner seelsorglichen Tätigkeit, auch wenn ich als Abt emeritiert bin.

Sie sehen die Zukunft Ihres Klosters und der Kirche mit großer Zuversicht. Was macht Sie so zuversichtlich?

Als Christ bin ich von Beruf her Optimist. Wir sind erlöst! Es kann uns gar nichts mehr passieren. Die Kirche und der Glaube sind ja kein politisches Phänomen. Da geht es nicht um Mehrheit und Minderheit. Glaube ist eine sehr persönliche Frage, in der es um die Beziehung eines Menschen zu Gott geht.

Meine letzte, aber zentrale Frage: Was ist wirklich wichtig im Leben?

Den Sinn des Lebens auf Gott hin zu erkennen und danach zu handeln.

Vielen Dank für das Gespräch!