>Eigensinning und Freiheitsliebe<

Dr. Gerald A. Matt / Dr. Gerald A. Matt

>Eigensinning und Freiheitsliebe<

Dr. Gerald A. Matt / Dr. Gerald A. Matt

Was verbindet den gebürtigen Vorarlberger Gerald Matt, der seit 40 Jahren nicht mehr im Land lebt, eigentlich noch mit seiner alten Heimat?
Menschen, wunderbare Menschen, wie etwa Monika Helfer, Michael Köhlmeier, Roland Jörg, Wolfgang Herrmann, um nur einige exemplarisch zu nennen, Autoren, Künstler, inspirierende Menschen, die ich zu meinen Freunden zähle und natürlich meine Familie. Und die Sprache, deren Melodie ich schätze und deren langes offenes a mich einen Vorarlberger, auch wenn er sich noch so sehr sich im Hochdeutschen verbirgt, sofort „erhören“ lässt. Und ich bin auch immer ein wenig stolz, je weiter weg ich von Vorarlberg bin, wenn ich an die Widerborstigkeit, den Eigensinn und die Freiheitsliebe der Vorarlberger denke. So charmant das g’schamster Diener eines Wiener Kellners klingen mag, so undenkbar, ja geradezu verhaltensoriginell würde es sich aus Vorarlberger Munde ausmachen. Die Tradition freier Bauern und Gewerbetreibender stand jeher Untertanenmentalität und Obrigkeitshörigkeit entgegen, wobei sich diese Unterschiede leider gegenüber ehemals aristokratisch und von Leibeigenschaft geprägten Gesellschaften einschleifen. Kurzum: Schleimer gibt es überall.

Vorarlberg ist stolz auf seine kulturellen Leistungen – Stichworte: Festspiele, Kunsthaus und Architektur. Sind Kultur und Vorarlberg schon lange kein Gegensatz mehr?
Der Ausspruch „Alemannia non cantat“ konnte Gottseidank schon lange widerlegt werden. Die Festspiele schmettern seit Jahrzehnten ihre Arien über den See, das Kunsthaus sonnt sich im Glanze der Zumthorschen Architektur, die inatura sorgt für die entsprechende Besucherquote und Vorarlbergs Baukünstler zählen zu den internationalen Toparchitekten. Alles Paletti, könnte man meinen, aber mitnichten. Denn gleichzeitig wurde die Riesenchance, als europäische Kulturhauptstadt international Aufmerksamkeit zu erlangen, versemmelt. Wie sagte doch Spinoza: „Der höchste Stolz und der höchste Kleinmut ist die höchste Unkenntnis seiner selbst.”

Da sollte man aber auch auf die zentrale Lage nicht vergessen. Zürich, München Mailand mit ihren kulturellen Highlights liegen doch nur um die Ecke.
Ja, das ist ein beliebter Vorarlberger Selbstbetrug, der durch seine unermüdliche Wiederholung nicht wahrer wird. Alles Gute liegt so nah, heißt nichts anderes, als dass es eben nicht da ist. Hand auf’s Herz: Wer fährt mal schnell nach Mailand, Zürich oder München? Da gilt: Wenn die Taube am Dach sitzt, hat man sie noch lange nicht in der Hand. Entscheidend ist am Ende, was vor Ort passiert.

Bregenz bezeichnet sich gerne als Kulturhauptstadt, als Leuchtturm eines im ganzen Lande florierenden kulturellen Lebens.
Bregenz hat unter herausragenden, intellektuell brillanten Kulturamtsleitern weit wahrnehmbare künstlerische Blitzlichter gesetzt und ist nach wie vor eine Topkulturstadt. Allerdings war es nicht zuletzt die Borniertheit eines verflossenen Bregenzer Bürgermeisters, der in trauter Gemeinsamkeit mit ignoranten Landesbeamten die Bewerbung der europäischen Kulturhauptstadt hintertrieben hat. Dass man die tüchtige neue Kulturamtsleiterin wegen ihres Einsatzes für eine Bundessubvention verleumdet und diskreditiert hat, sorgt für weitere Kratzer am selbstgestrickten Selbstbildnis.

Du unterrichtest an der Uni für angewandte Kunst Kulturmanagement und hast einige Bücher zu Museumsmanagements und Kulturpolitik veröffentlicht. Was gefällt Dir an der Museums- und Ausstellungslandschaft Vorarlbergs? Siehst Du auch Verbesserungsbedarf?
Da wäre wohl ein längerer Kommentar fällig, den ich mir gerne für eine der Folgenummern von Thema Vorarlberg vorbehalte. Vorweg, wir haben tolle Institutionen, tolle Architektur und tolle Künstler und Künstlerinnen. Die Frage ist, inwieweit diese Potenziale auch als Synergien genutzt werden. Da ist der Kunstraum Dornbirn, in dessen wunderbaren Industriehalle Raum und Kunst ihre Symbiose finden. Ich unterstütze auch sehr die Transformation des Flatzmuseums in ein Zentrum der Fotografie, womit Dornbirn nicht nur dem herausragenden Aktionskünstler Flatz Tribut erweist, sondern klar eine kulturpolitische Kompetenzlücke füllt und ein spannendes Angebot schafft. Ebenso hervorragend ist die Arbeit des VAI, das aber längst einen Neubau oder ein adäquates Gebäude verdient hätte sowie jene des Frauenmuseums in Hittisau. Etwas differenzierter stellt sich die Situation in Bregenz dar. Das Kunsthaus trumpft nach wie vor mit seiner herausragenden Architektur und immer wieder auch beeindruckenden Einzelausstellungen auf, die jedoch zunehmend an ein Galerienprogramm erinnern. Da würde ich mir wieder mehr ambitionierte Themen- und Gruppenausstellungen, die natürlich inhaltlich und organisatorisch aufwendig sind, wünschen – wie sie auch zu Beginn eindrucksvoll von Edelbert Köb und Ekkehard Schneider konzipiert wurden. Die ursprüngliche kulturpolitische Zielsetzung, ein Haus auch für Vorarlberger Künstler und Künstlerinnen und die Vorarlberger jüngere Kunstgeschichte zu etablieren, quasi eine Landesgalerie, die für internationale Vernetzung und Kontextualisierung steht, wurde jedoch vom Kunsthaus vollkommen aufgegeben. Das Landesmuseum scheint inzwischen diese Aufgabe mehr schlecht als recht übernommen zu haben, indem Vorarlberger Künstler – nicht ihrer Qualität entsprechend – stiefmütterlich mit Foyer-Ausstellungen abgespeist werden. Und dies in einem Haus, das in einer Art „grünem“ Kraut und Rübenkonzept Alltagskultur und Kunst in einem gleichmachenden Mischmasch aufbereitet.

Was stört Dich am Zugang der Grünen zu Kunst und Kultur?
Um es kurz mit Oskar Wilde zu beantworten: „Das schlechteste Werk wird immer mit den besten Absichten geschaffen.“

Was wünschst Du Dir für Vorarlbergs Kunst und Kultur?
Kein Ausruhen auf schon etwas welk gewordenen Lorbeeren, mehr Mut zu Entscheidungen, mehr Wagnis für Neues und Veränderung. Vorarlberg und Vorarlbergs Künstlern wünsche ich eine Landesgalerie, die Vorarlbergs jüngere Kunstgeschichte und -gegenwart von Wacker über Kalb bis Bechtold, Flatz, Schnell und Pfanner auf Augenhöhe mit internationalen Entwicklungen zeigt und die zur Attraktion für Kunstinteressierte wird, die Kunst in Vorarlberg auch abseits des internationalen Standardprogrammes erleben wollen. Für das VAI wünsche ich mir einen signifikanten Neubau, der die große Qualität von Vorarlbergs Architektur widerspiegelt. Und für das Flatzmuseum wünsche ich mir die Erweiterung um ein Archiv der Vorarlberger Fotografie, das der Bedeutung von Foto-Pionieren wie Winsauer oder Rhomberg Rechnung trägt und die spannende visuelle Geschichte auch der Industrie und des Handels Vorarlbergs an zukünftige Generationen weitererzählt.
Und was St. Gallen mit seiner Wirtschaftsuniversität kann, kann Vorarlberg auch, auf Basis des Lecher Philosophicums – eine herausragende universitäre Kaderschmiede für Philosophie, Wirtschaft und Politik zu entwickeln. Eine intellektuelle kritische Masse würde Vorarlberg nicht schaden.