Don Juan
oder zwei und zwei ist vier

Don Juan oder zwei und zwei ist vier

Berühmt ist die Arie, in der Don Giovanni im ersten Akt der gleichnamigen Oper schmachtend sein Liebeswerben kundtut: ›Dort reichen wir uns die Hände, dort gibst du mir dein Jawort …‹ Doch zuvor warnt sein Diener Leporello die Damenwelt: ›In Italien sechshundertvierzig … in Spanien schon tausenddrei! Die Alten erobert er, um sie im Register einzutragen, doch am allerliebsten sind ihm die Jungen, Unerfahrenen.‹ Mozarts Don Giovanni wurde von E. T. A. Hoffmann als ›Oper aller Opern‹ bezeichnet. Kierkegaard lobte ihre ›sinnlich-erotische Genialität‹: ›Don Juan ist nun, wenn ich so sagen darf, … die Begeisterung des Fleisches aus des Fleisches eigenem Geist.‹ Liebe, Lust, Verführung, Verrat, Leidenschaft und Eifersucht, Rache und Tod sind die starken Ingredienzien, die die Geschichte Don Juans beim Publikum so populär machen. Don Juans anziehender Charme und erotische Kraft sind unwiderstehlich: ›Komm ans Fenster, mein Schatz, komm und stille meine Tränen. Wenn du mir keinen Trost gewährst, muss ich vor deinen Augen sterben‹, flötet Don Giovanni in Mozarts Oper. Für Max Frisch hingegen strebt er nach der ›Liebe zur Geometrie‹. Denn am Ende ist sein Handeln ›ein Lug und Trug‹, damit er ›wieder zu seiner geometrischen Abstraktion gelangt, herzlos wie er ist‹. Wie lebendig Don Juan noch ist, versuchen aktuelle Operninszenierungen wie ›Don Giovanni‹ neulich im Rahmen der Bregenzer Festspiele in Erinnerung zu rufen, wo er als Marlon-Brando-Typ des wilden jungen Mannes auftrat, der auf die Konsequenzen seines Handelns pfeift und weder Teufel noch Tod fürchtet.

Don Juans Geschichte reicht zurück ins Madrid des frühen 17. Jahrhunderts. Im sittenstrengen Spanien konnten die Eskapaden Don Juans, erzählt vom Mönch Tirso de Molina, jedoch nicht ungestraft bleiben. Einer, der sich ungeniert seine erotischen Wünsche erfüllt und sich um die weiblichen Kollateralschäden herzlich wenig schert, wurde selbstverständlich seiner gerechten Strafe zugeführt und fuhr zur Hölle. Die schillernde Gestalt des Don Juan selbst hat im Laufe der Jahrhunderte unzählige Metamorphosen erfahren. Don Juan wechselt seine Rolle vom skandalösen Frauenverschlinger, den der Geist des von ihm getöteten Komtur als ›steinerner Gast‹ zur Rechenschaft zieht, zum hintertriebenen Revoluzzer, der mit erotischer und subversiver Anarchie gegen gesellschaftliche Tabus und Pseudomoral zu Bette zieht. So wird Don Juan zum Alter Ego Molières, das schonungslos die Scheinheiligkeit der höfischen Gesellschaft Ludwigs XIV. an den Pranger stellt. Molière lässt seinen Don Juan proklamieren: ›Es wäre doch noch schöner, wollte man sich der falschen Ehre brüsten, treu zu sein … und wäre schon in seiner Jugend tot für all die anderen Schönheiten, die unser Auge entzücken können! Nein, die Beständigkeit taugt nur für Narren, alle Schönen haben das Recht, uns zu bezaubern, und der Vorteil, dass die eine uns als erste begegnet ist, darf doch nicht die anderen deren gerechter Ansprüche berauben.‹ Und Don Juan bekennt: ›Hallo! Herr Dummkopf, Ihr wisst, dass ich euch gesagt habe, dass ich Leute nicht ausstehen kann, die Moral predigen.‹ Die Frage seines Dieners (›Aber man muss doch in dieser Welt an irgendetwas glauben?‹) beantwortet er zynisch: ›Ich glaube, dass zwei und zwei vier sind.‹

Und so kennt er keine Gnade — weder mit den Frauen noch mit sich. Alles ist Schwindel, sogar die Lust. Kein Wunder, dass trotz des großen Publikumserfolgs Molières Stück als gotteslästerlich bald in der Versenkung verschwand. Beim Romantiker E. T. A. Hoffmann hingegen mutiert er zum hehren Idealisten, der tragisch gegen das Leben und sich selbst aufbegehrt: ›Ich bin nie mehr von einem Weibe getäuscht worden, seitdem ich sie alle täusche.‹ In Zeiten bürgerlichen Seelenschmerzes und sentimentaler Liebesverklärung wurde der Serienverführer und Frauendompteur unpopulär: ›Verflucht seist du, Don Juan! Ich hielt dich für groß, doch du bist nur verrückt. Der Staub unter deinen Füßen ist nicht mehr wert als die Asche, die der Wind verweht‹, schreibt George Sand 1833. Und so wandelt sich Don Juan im 19. Jahrhundert immer mehr zum melancholischen Phantasten, der an der Suche nach der idealen Frau scheitert und an der Sehnsucht nach ihr zugrunde geht.

Aus dem skrupellosen Frauenverführer und rhetorisch abgeklärten Zyniker, der die Frauen mit eleganten Aperçus und seiner Abenteuerlust in seinen Bann schlug, wird ein Getriebener, der vor sich selbst und seiner Todesfurcht auf ständiger Flucht ist. Camus sieht in Don Juan eine Figur des Scheiterns, einen, der auf der Suche nach Erfüllung und Genuss müde und stoisch geworden ist. Bei Max Frisch versucht ein liebesmüder Don Juan sein verlöschendes Interesse an Frauen durch Amokläufe in der Liebe zu kompensieren, um endlich seinen Trost in der Geometrie zu finden. Seine Strafe ist die ruhige Zweisamkeit, ein Käfig, dessen letztes Wort Mahlzeit heißt. Brach er einst wie ein Erdbeben in das Leben seiner Opfer ein, ist er nun auf der Flucht vor den Frauen, ihren Ansprüchen, der Langeweile eines bürgerlichen Lebens, vor gehörnten Ehemännern, erbosten Vätern und letztlich vor dem Tod (Haneke). In Peter Handkes ›Don Juan (erzählt von ihm)‹ wird dem Desillusionierten die Jagd nach Frauen nur mehr zur Pflicht. Er lebt im Moment, ist ohne Ziel, rastlos, in ständiger Eile, einer, der am liebsten meditativ in die Landschaft blickt. Don Juan gibt jedoch nicht so leicht auf. So irrlichtert er in einer für ihn wenig vorteilhaften Welt von Aids, Political Correctness und Feminismus durch unsere Tage. Als Billigprodukt der Konsumgesellschaft werkt er als freier Dienstnehmer, Animateur und Seelenwärmer (Modell Alpengigolo oder Strandpapagallo) für All-inclusive-Reisen. Doch ganz aufgegeben hat er noch nicht: Als strahlender und tragischer Held der Macht (Modell Kennedy) oder als geheimnisvoller und eleganter Agent (Modell James Bond) zeigt er einen beachtlichen Überlebenswillen. Doch auch hier rückt Elfriede Jelineks Hörspiel ›Jackie‹ einiges zurecht und entzaubert John F.·Kennedy, den mächtigsten Mann der Welt und stets bereiten Frauenhelden. Jackie erzählt resigniert: ›Bei seiner Obduktion wurde außerdem eine Chlamydien-Infektion nachgewiesen … Ja, Jack hat mich angesteckt und mir die nötige Auskunft darüber verweigert, warum und wem ich das zu verdanken habe.‹

Doch ein Verführer lässt sich ohne die Verführten nicht denken: Da begegnen wir unterschiedlichen Modellen des Begehrens der Frauen — von der Masochistin bis hin zur Domina. In der Geschichte Don Juans spiegelt sich auch der Wandel des Frauenbildes wider: Waren sie anfangs betrogene und verlassene Opfer, so werden sie in Zeiten zunehmender Emanzipation immer mehr zu raffinierten Kontrahentinnen Don Juans, die auf seine Anmaßungen und Täuschungen ebenbürtig reagieren. Da kommt Don Juan bisweilen ziemlich unter Druck und überschreitet gar die Gendergrenze. Als Donna Giovanni/Donna Juana erlebt er/sie seine/ihre doppelgeschlechtliche Wiedergeburt, ist nun sowohl männlich als auch weiblich — Waffengleichheit ist hergestellt. Gelegentlich hüpft Don Giovanni, so wie in Roger Vadims Film ›Don Juan était une femme‹, über die Geschlechtsgrenze. Und Jeanne Moreau machte sich gar Sorgen: ›Männer sind altmodisch, eine bedrohte Art.‹