Die Sehnsucht der Fotografin

Die Sehnsucht der Fotografin

Im letzten Jahr veröffentlichte Elfie Semotan eine lesenswerte Autobiografie unter dem Titel ›Eine andere Art von Schönheit‹, erschienen bei Brandstätter, in der sie aus ihrem Leben erzählt und es mit persönlichen Bildern begleitet. Semotan wuchs im Zweiten Weltkrieg als Tochter eines Eisenbahners in Oberösterreich auf — wie sie selbst sagt, ›in einer Freiheit, die es nur auf dem Land gibt. An dieses Ungezähmte erinnert sich nicht nur mein Kopf, sondern auch mein Körper. Es ist ein Gefühl, das mit einem mitwächst und das man nie wieder verliert‹.

Mit elf Jahren zog sie ihrem Drang nach Unabhängigkeit und der großen Stadt folgend zu ihrer Mutter nach Wien. Nach der Modeschule Hetzendorf lernte sie bei Wiens Designerstar Gertrud Höchsmann, die mit ihren avantgardistischen Entwürfen eine Art Coco Chanel von Wien war. Ihr Interesse und Herz galt damals schon der aufbrechenden österreichischen Kunstszene von Konrad Bayer, der Wiener Gruppe und Friedensreich Hundertwasser bis hin zu den Aktionisten — eine Liebe zur Kunst, die ihr Leben und ihre Arbeit zutiefst geprägt hat.

Bald zog es die gutaussehende und unternehmungslustige junge Frau in die Welthauptstadt der Mode, nach Paris, wo sie bei Lanvin zwar nicht als Designerin, aber als Model oder, wie es damals noch elegant hieß, als Mannequin engagiert wurde. Semotan lernte die große weite Welt und den Fotografen und Filmer John Cook kennen, der sie für die Fotografie begeisterte. Ende der 1960er-Jahre wechselte sie hinter die Kamera und begann eine internationale Karriere als Fotografin zwischen Paris, New York und Wien.

Unvergessen sind Semotans aufsehenerregenden Kampagnen für Palmers und Römerquelle. Ihre Plakatserie für die Unterwäschefirma mit selbstbewussten Frauen in anziehenden Posen, sexy Outfits und dem Slogan ›Trau dich doch‹ gingen in die Geschichte der Werbung ein, indem sie mit dem unterwürfigen, braven Frauenbild brach, gleichzeitig aber auch mit ihrer emanzipierten Erotik den prüden Feminismus jener Tage zur Weißglut trieb. In ihrer an eine ›ménage à trois‹ erinnernde Werbung für Römerquelle gab sie der Generation eines hedonistischen Zeitgeistes der 1980er-Jahre ihre Bilder.

Ihre Arbeiten erschienen in international renommierten Zeitschriften wie Vogue, Elle, Esquire, Marie Claire, Harper’s Bazaar oder dem New Yorker. Semotan begann sich jedoch bald über die Mode- und Werbefotografie hinaus einen Namen als Porträtistin zu machen. Sie fotografierte die Großen der Kunstwelt, aber auch Filmstars wie Brad Pitt, Ben Stiller oder Marion Cotillard. Dabei scheute sie keine Experimente und versetzte ihre Modelle in bislang ungewohnte, oft groteske Positionen. Sie arbeitete mit Models wie Cordula Reyer, die mit ihrer Originalität und Individualität die herkömmlichen Schönheitsideale einer oberflächlichen und glatten Modeindustrie konterkarierten und überstrahlten.

Mit Helmut Lang, für den Semotan in ihren Wiener Tagen sogar modelte und den sie noch als Kellner im Wiener Szenelokal ›Motto‹ kennenlernte, ist sie seit den 1980er-Jahren eng befreundet. Lang hasst es bis heute, fotografiert zu werden. Elfie Semotan sagt dazu: ›Ich habe es trotzdem oft getan und ich glaube, es war stets eine besondere Qual für ihn.‹ Das angeschnittene Porträt des Wieners, entstanden 1994 in New York, wurde jedenfalls eine ihrer berühmtesten Aufnahmen. Wunderschön und liebevoll sind auch ihre Fotografien ihrer beiden verstorbenen ›Lebensmänner‹, dem großen Maler Kurt Kocherscheidt und dem genialen Enfant terrible der Künste, Martin Kippenberger, mit denen sie auch verheiratet war.

Die Grande Dame der heimischen Fotografenszene hat nicht nur wichtige Impulse für die Modefotografie gesetzt, wobei die Kunst eine ihrer wichtigsten Inspirationsquellen war, sondern hat sich auch längst von Aufträgen und Einschränkungen der Modebranche befreit. In ihren vielfältigen Arbeiten hat sie die Grenzen zwischen Kunst und Modefotografie aufgelöst. Heute gilt ihr Interesse zunehmend Landschaften, Städtebildern und Stillleben. So ist es auch kein Zufall, dass ihre Arbeiten längst in großen Museen und Kunstinstituten gezeigt werden. Gelten ihre Porträts als außergewöhnlich präzise, auf den Menschen und seine Eigenheiten eingehende Bilder, so spiegelt sich diese Einfühlsamkeit, genaue Beobachtung und Empathie für ihr Subjekt nun auch in ihren Stillleben wider. Feinfühlig dokumentiert sie gefundene, zufällig wirkende Konstellationen aus ihrem unmittelbaren Umfeld. ›Auf Unscheinbares, Übersehenes reagiere ich ganz persönlich. Indem ich solche Dinge fotografiere, bringe ich sie auf eine Ebene, auf der sie sichtbar werden und ihnen Schönheit und Bedeutung zukommt — es wird wichtig, sie zu sehen‹, sagt Elfie Semotan.

Elfi Semotans Stillleben ziehen uns förmlich in ihren Bann, lassen uns an der Neugier der Fotografin teilhaben und ihre Liebe zu den Objekten und Szenen mitfühlen. Der große Maler Gerhard Richter sagte über seine Stillleben, seine Türen, Vorhänge und Scheiben: ›Für mich sind sie vielleicht Gleichnisse einer Verzweiflung über das Dilemma, dass zwar unser Sehen uns die Dinge erkennen lässt, dass es aber gleichzeitig die Erkenntnis der Wirklichkeit begrenzt und partiell unmöglich macht. Wenn die ›abstrakten Bilder‹ meine Realität zeigen, dann zeigen die Landschaften oder Stillleben meine Sehnsucht.‹ Und auch Elfi Semotans Stillleben künden von der Sehnsucht, das Leben der Dinge zu erfassen, ihre Schönheit und Stimmungen, die Kraft ihrer Präsenz und gleichzeitig die ihrer Vergänglichkeit innewohnende Melancholie.

Aus der Lyrik ist uns das sogenannte Dinggedicht bekannt, ein Gedicht, in dem bestimmte Gegenstände besungen werden. In seinem späten Hauptwerk, den ›Duineser Elegien‹, spricht Rainer Maria Rilke wortmächtig von den Dingen und vom Auftrag des Menschen, sie und sich durch Verwandlung zu retten: ›Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche, ihm kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem; im Weltall, wo er fühlender fühlt, bist du ein Neuling. Drum zeig ihm das Einfache, das von Geschlecht zu Geschlechtern gestaltet, als ein Unsriges lebt, neben der Hand und im Blick. Sag ihm die Dinge … Zeig ihm, wie glücklich ein Ding sein kann, wie schuldlos und unser, wie selbst das klagende Leid rein zur Gestalt sich entschließt, dient als ein Ding, oder stirbt in ein Ding … Und diese von Hingang lebenden Dinge verstehn, dass du sie rühmst; vergänglich, traun sie ein Rettendes uns, den Vergänglichsten, zu. Wollen, wir sollen sie ganz im unsichtbarn Herzen verwandeln in — o unendlich — in uns! Wer wir am Ende auch seien.‹

Schon der deutsche Philosoph Georg Simmel untersuchte die Wechselwirkung zwischen dinglicher und personaler Individualität und wies darauf hin, wie sehr die Dinge, die den Menschen umgeben, die er besitzt oder die sein Interesse finden, sein Erscheinungsbild und Weltverhältnis verändern. Und so erzählen sowohl die wunderbar melancholisch-beglückenden Stillleben von Elfie Semotan als auch Rilkes Gedicht von der Rettung der vom Hingang lebenden Dinge als Quelle des ›eigenen überzähligen Daseins‹. Elfie Semotans Stillleben sind eine konsequente Fortführung ihrer Arbeit, sich und uns ein Bild vom Menschen zu machen.