Im schattigen Zimmer eines Hotels bereitet sich Ordonez auf seinen Kampf vor. Der Matador wird angekleidet, ein strenges Ritual vor dem Ritual des Kampfes. Alleine wäre es ihm nicht möglich, sich in diese enganliegende, zweite, schutzbietende Haut zu zwängen. Auch im Kampfe, wenn der Torero mit dem Stier seine veronicas und naturales, seine Figuren, tanzen wird und ihn damit zum Protagonisten seiner Choreografie des Todes macht, wird er darauf achten, dass seine Kleidung und sein Haar perfekt bleiben. Noch ist er ohne Publikum, allein mit seinem mozo de espada, dem Vertrauten, der verantwortlich ist für sein kostbares Gewand, seine Börse und sein Schwert. Die Kleidung des Matadors wurde von diesem minutiös den Regeln folgend auf dem Rücken des Stuhles ausgelegt.
Man sieht den muskulösen und zur selben Zeit knabenhaft grazilen Körper des Matadors, der langsam eins wird mit jenem strahlenden Gewand des Lichtes, der traje de luces, das reich mit glänzenden Metallteilchen in Goldfarben verziert ist. Moraths Bild kündet von der Metamorphose des gewöhnlichen Sterblichen zum Matador, in jenen Aristokraten des Todes, in jenen Halbgott im leuchtenden, edlen Gewande. Nur er, der diestro, der das Schwert trägt und den Tod bringt, darf das goldene Gewand tragen. Er ist der heilige Georg, der Drachentöter, der den Kampf des Guten gegen das Böse, der edlen Vernunft und der göttlichen Kraft gegen die ungestüm-elementare Bestie und den gotteslästerlichen Dämon führen wird. Sein Kostüm ist perfekt geschneidert, hebt seine Muskeln, seine Venen und sein Geschlecht hervor und läßt seinen sinnlichen Körper zur formvollendeten Skulptur werden.
Seine Kniehose ist über und über mit luxuriösen arabesken Stickereien, floralen oder geometrischen Mustern verziert. Seine Strumpfhosen sind mit machos, Strumpfhaltern, befestigt, die unterhalb der Knie angebracht werden, und auch während des Kampfes einen tadellosen Sitz dieser Kleidungsstücke garantieren. Und so heißt atar los machos nichts anderes, als sich für den Kampf vorzubereiten. Sein Hemd ist weiß, aus feinstem Batist, diskret verziert mit Spitzen, und von einer roten Krawatte zum Halse hin elegant abgeschlossen. Ein Rot, zu dem sich während des Kampfes das Rot der muleta und das Rot des Blutes gesellen werden.
Moraths Fotografie zeigt Ordonez in sich gekehrt, nachdenklich, vielleicht auch betend. Matadore lehnen es gerade in diesem Moment mentaler Konzentration und intimer Kontemplation ab, fotografiert zu werden. Und so gibt es auch nur wenige Aufnahmen dieses Zeremoniells vor dem Kampf. Doch Moraths Kamera — gleichsam einen Beweis des Vertrauens zwischen der Fotografin und dem Modell erbringend — scheint nicht anwesend zu sein. Da ist nichts Voyeurhaftes in ihrem Blick, ihr Bild hebt das Geheimnis nicht auf, verrät den Matador nicht, sondern im Gegenteil, verdichtet es gleichsam zu einem Moment magischer Stille und nahezu liturgischer Würde. Inge Moraths subtile Porträts des Matadors unterstreichen die Ambiguität des Stierkämpfers zwischen würdigem Priester, opferbereitem Heiligen, glänzendem Verführer und Exekutor des Todes.
Max Frisch schreibt: ›Auch dem Torero geht es letztlich nicht darum, dass er das Leben behält. Das wäre kein Sieg. Die Grazie ist es, die ihn zum Sieger machen muss, die geometrische Akkuratesse, das Tänzerische, das er dem gewaltigen Stier entgegensetzt, ein Sieg des spielerischen Geistes ist es, was die Arena mit Jubel füllt.‹ Und so werden wir im Kampfe dem Matador wieder begegnen, wie er auf einer der Fotografien Inge Moraths stolz das Schwert dem Publikum und dem Stier entgegenstreckt, die Beine leicht gespreizt und die Brust nach vorne gewölbt. Dabei gleicht er einem wunderbaren Vogel, dessen Gefieder in der auf das Stadion niederbrennenden Sonne prachtvoll schimmert.
Im folgenden Kampfe unterwirft der Matador den Stier seinen Gesetzen, fordert ihn heraus, wirbt um den Stier, verführt ihn zum Kampfe und dirigiert ihn mit der muleta nach seinem Rhythmus und seinem Willen. Inge Moraths Matador ist ein Tänzer, eine Primaballerina von fast androgyner Natur, ein schöner Dandy des Todes, der virtuos seine persönlichen Linien in das auf strengen Koordinaten von Raum und Zeit beruhende System der Corrida zeichnen wird, der seinen Mittänzer genau studieren, ihn lesen wird, um ihn schließlich zum letzten Tanz einzuladen.
Im Tagebuch eines Diebes verklärt Jean Genet das Ritual der Tötung zu einem quasi religiösen Mysterium, in welchem sich die Beziehung zwischen Mörder und Opfer vollzieht. Durch die Tötung werden das Opfer in Gott und der Töter in die Rolle des Priesters versetzt. Wenn in der Corrida das tercio de la muerte, das Drittel des Todes anbricht, verschmilzt der Matador in der suerte de la muleta, im Spiel mit dem roten Tuch, mit dem Stier zu einem gemeinsamen Ballett.
Am Ende steht der Todesstoß, ›der Höhepunkt des Kampfes‹, wie Ernest Hemingway schreibt, die estocada. Der Matador führt den Degen zwischen den Schulterblättern des Stieres direkt in sein Herz. In der Intensität dieser letzten Begegnung, in der Verschmelzung von Tier und Mensch, offenbart sich nicht nur ein existentielles Erlebnis. Georges Bataille sieht in seinem Roman Das obszöne Werk. Die Geschichte des Auges in ihr schlichtweg eine Allegorie für die reine, ursprüngliche Sexualität. Ein ultimatives erotisches Erlebnis, das Bataille als einen heiligen Moment der Unterbrechung betrachtet: ›Durch den gewaltsamen Tod wird die Diskontinuität eines Wesens gebrochen: das, was bleibt […] ist die Kontinuität des Seins.‹ Der isolierte Körper hat seine individuelle Identität verloren und damit den Rest der Existenz wieder hergestellt.
›Aber wenn ein Mensch sich noch in Rebellion gegen den Tod befindet, macht es ihm Vergnügen, sich eines der gotteslästerlichsten Attribute anzueignen: Den Tod zu verursachen. Das ist eines der allerstärksten Gefühle in jenen Menschen, die Genuss am Töten haben‹, schreibt Ernst Hemingway. Das Töten und Sterben als Überschreiten der menschlichen Grenzen, als Anmaßung gegenüber dem Göttlichen, das ist die Kompetenz des Stierkampfes, das ist seine vom Publikum delegierte Aufgabe.
Moraths Bilder lassen diese magische Anziehungskraft des Matadors spürbar werden, die ihn umgebende Aura des Todes und der Leidenschaften, mit der er eine dauernde Liaison eingeht. Der Matador ist der unbestechliche Komplize des Todes, er liebt den Tod und führt ihn konsequent herbei. Er tötet in der Saison bis zu acht-, neunmal am Tage. Der Tod ist sein Triumph und Schicksal zugleich. Es ist der Tod des Stieres oder aber auch sein eigener Tod, der ihn zur Unsterblichkeit erhebt. Der Torero stirbt nicht an seinen Verletzungen, sterben kann er nur an der Schande eines schlechten Kampfes oder am Verlassen seines Mutes.
Und so empfindet der Besucher den Stierkampf weniger als sportliches Ereignis, denn als dramatisches, geradezu musikalisch-künstlerisches Spektakel. Im Matador verkörpern sich die Sehnsüchte und Träume des Publikums nach Heldentum und Erlösung, er vollzieht die kontrollierte Katharsis. Denn im Stierkampf werden, wie Juan Goytisolo betont, jene Triebe frei, die gewöhnlich unterdrückt sind, jene uneingestandene Lust, Blut fließen zu sehen. Im ›reinen Akt‹ der Tötung des Stiers, oder vice versa der Tötung des Matadors, kulminiert die Tragödie — in deren Vollzug liegt Purifikation und Triumph zugleich. Der Matador ist der Held des Publikums, er fordert das gefährlichste Tier zum Kampfe heraus, nur er ist fähig zur großen Tat, wie sie Gabriele D’Annunzio für seine literarischen Helden und Yukio Mishima für sich selbst forderten. Der Matador wartet nicht auf das Leben, er nimmt es selbst in die Hand. Immer wieder und wieder stellt er sich dem Kampf, wiederholt er das Sterben. In dieser sisyphushaften Wiederholung offenbart sich aber auch die Vergeblichkeit seines Siegens. Und so geht eine tiefe Melancholie von ihm aus, eine Melancholie, wie sie Inge Morath in ihren Porträts des Matadors so genau festhält. Der Matador ist ein Held des Absurden im Sinne Albert Camus. Denn erst in der Stunde des Todes wird sein Leben bei ihm ankommen.