Das ist so österreichisch

Dr. Gerald A. Matt / Andreas Vitásek

Das ist so österreichisch

Dr. Gerald A. Matt / Andreas Vitásek

Woran arbeitest du zurzeit?

Ich bin mit ›Austrophobia‹ auf Tour. Was macht das Österreichische aus, woher diese Hassliebe? Warum trauen wir uns nie zu, Erster zu sein? Warum sagen wir im Moment des Sieges: ›Besser kann es ned werden‹? Wie Falco einst die Nummer eins war und gesagt hat: ›Das schaffe ich nur einmal.‹ Und das ist so österreichisch.

Fühlt sich der Kabarettist Vitásek als Therapeut?

Eher als Diagnostiker. Als Kabarettist untersuche ich mich selbst, suche immer die Fehler bei mir, weil ich das Gefühl habe, ich bin so durchschnittlich, dass ich viel repräsentiere, was andere Leute betrifft. Was mir gefällt, gefällt mehreren anderen Leuten, was mir nicht gefällt, viele anderen Leuten auch nicht.

Über deine Tournee lese ich im Programmheft: ›Auf einer Tour de Farce durch die seelische Provinz trifft Andreas Vitásek Cerberus, den Höllenhund, versucht einen WLAN-Verstärker zu kaufen, pflanzt Wunderbäume und erklärt die richtige Art, Harakiri zu verüben.‹

Um aus der Küche zu plaudern: Die Werbung beginnt früh, sie beginnt, bevor mein Programm und der Text überhaupt stehen. Und dann passieren solche Titel wie ›Kurzzugende‹. Ich bin in der U-Bahn-Station gestanden. Da ruft die Agentur an: ›Wir brauchen einen Titel, jetzt!‹ Und ich stehe da und sehe auf der U-Bahn-Station und sage: ›Kurzzugende‹. Und jeder hat sich gefragt, was ›Kurzzugende‹ heißt!

Gibt es in ›Austrophobia‹ eine Lieblingsszene?

Das ändert sich komischerweise total in der Spielzeit. Am Anfang findet man etwas toll, und dann nützt es sich ab. Und andere Szenen gewinnen mit der Zeit. Daher würde ich niemandem empfehlen, in die ersten zehn bis 20 Vorstellungen zu gehen, in die Premiere schon gar nicht.

Was hat dich zu ›Austrophobia‹ motiviert?

Es war der plakative Rechtsruck in unserem Land. Wo man denkt, dass alles, was man schon überwunden hat, jetzt wieder zurückkommt. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass wir unsere Vergangenheit lange nicht ordentlich aufgearbeitet und gesagt haben: ›Wir waren die ersten Opfer des Nationalsozialismus.‹ Da gibt es dieses Zitat vom Brecht ›Der Schoß ist fruchtbar, aus dem das kroch‹, und das gilt nach wie vor. Das war meine Motivation, auch ein politisches Programm zu machen — ich gelte doch als Politkabarettist!

Kommt in deinen Nummern auch Ibizia vor?

Es gibt immer wieder Freiräume im Programm, wo das vorkommt. Aber dieses ›Zack-zack-zack‹ kann man nimmer hören! Der wahre Skandal war nicht Ibiza und nicht das überzogene Spesenkonto. Der wahre Skandal ist, dass man mit so einem Spesenkonto so ein schiaches Leiberl hat. Und politisches Kabarett ist ja kurzlebig. Oft kann man sich nicht einmal die Namen der Regierung merken, sie sind schon wieder weg.

Du bist ein echter Wiener?

Ich bin aus Favoriten und habe am 1. Mai Geburtstag! Es sind eigentlich alle Voraussetzungen für den Wiener Bürgermeister. Aber höchstens als Nummer im Kabarett …

War es ein Jugendtraum, Schauspieler zu werden, hast du dir gesagt: ›Ich will Schauspieler werden, ich will auf die Bühne‹?

Nein, ich habe mich für Literatur interessiert und deswegen Germanistik studiert. Um Geld zu verdienen, bin ich Komparse am Burgtheater geworden. Die haben aber Komparsen gebraucht, die ein bisschen mehr machen, als nur doof da zu stehen. Dadurch habe ich ein bisschen Akrobatik gemacht und bin über einen Kurs bei Samy Molcho zur Pantomime gekommen. Ich habe Workshops gemacht, unter anderem in Dänemark beim Odin Theater, und ich bin nach Paris gefahren. Ich habe einen Studentenkredit aufgenommen und wurde aufgenommen, in der Theaterschule von Jacques Lecoq.

Kann man Schauspiel lernen? Oder: was kann man lernen?

Es schadet jedenfalls nicht. Schule ist ein geschützter Raum, man kann dort alles ausprobieren und auch Fehler machen. In der Schule von Lecoq konnte jeder sein Potenzial ausnützen. Nach zwei Jahren Begleitung wurde man dann freigelassen. Und Paris für einen 22-jährigen, der unter Tags ein bisschen was zu tun hat und dann frei hat am Abend! Es war die Zeit meines Lebens!

Und dein erster Auftritt?

Daran kann ich mich noch erinnern. Es war am 21. September 1981 in der Volkshochschule Margareten in der Stöbergasse, vor zwölf Leuten, von denen ich vier nicht gekannt habe. Und es hat gut funktioniert, und ich war sehr stolz!

Was war die Rolle?

Ich habe ein Soloprogramm gespielt, eine selbst geschriebene Geschichte.

Hast du eigentlich als Kabarettist angefangen?

Ich würde sagen, es war viel mehr Pantomime und Maskenspiel als Kabarett. Zum Kabarett bin ich erst durch die Begegnung mit Kleinkunstbühnen gekommen, die durch die fortschrittliche Kulturpolitik vom Bürgermeister Zilk entstanden sind, Lokale wie ›Kulisse‹ oder ›Spektakel‹, das waren die Böden …

Zu ›Malaria‹. Das war auch dein Riesenerfolg im Kino. Mit List warst du schon befreundet, aber wie bist du zu diesem Film gekommen?

Ich bin aus Paris gekommen, und der Niki List hat mir gesagt: ›Ich mache einen Film, du wirst mitspielen.‹ So bin ich dort hingekommen. Wir haben mit einem Sony Walkman synchronisiert, ohne Bildschirm. Wahnsinn! (lacht) Aber: ›Malaria‹ kann man nicht mehr anschauen. Und ›Müllers Büro‹? Manchmal geht es, manchmal nicht. Je nach Zeitgeist. Manchmal ist es so schlecht, dass es schon wieder gut ist. Unser gemeinsames Projekt ›Helden in Tirol‹ wird sicherlich ein Kultfilm! Darf ich ein Geheimnis verraten? Wir haben ja in Lists ›Helden in Tirol‹ zusammen gespielt.

Ich war der Komparse, du warst der Schauspieler! Ich durfte als Mönch nur einen Satz sagen: ›Wir sind uns begegnet, wir sind uns gesegnet!‹ Der Film war schwierig, ein bisschen verunglückt.

Ja. Wenn man weiß, was rund herum passiert ist, kann man ihn besser anschauen. Es war das ›Vietnam‹ von Niki List. (lacht)

Film und Theater, es hat dich beides interessiert.

Ich finde, dass Film und Theater nicht so weit auseinander sind. Weil meine Programme so oft absurde Elemente beinhalten und auch sehr traumhafte Geschichten. Ich war inspiriert durch Julio Cortázar, der auch so stark in den Fantasiewelten ist, und da war für mich auch die Nähe zu Beckett und durch das Kabarett auch zur Wiener Altkomödie. Nestroy ist der Urvater des Kabaretts, wenn man so sagen will. Wenn man jetzt Nestroys Monologe liest, das sind einfach wunderbare Conférencen.

Gibt es für dich eine Traumrolle oder eine Rolle, die du gerne am Theater spielen würdest?

Ich erfülle mir jetzt einen Wunsch — ich spiele als nächstes den ›Herrn Karl‹ im Rabenhof. Es ist auch eine logische Fortsetzung von meiner Austrophobia-Recherche über die österreichische Seele. Hochaktuell.

Wo siehst du den Unterschied zwischen Theater, also Schauspiel, und Kabarett?

Im Kabarett habe ich die alleinige Entscheidung, da bin ich alleine auf der Bühne. Ich schreibe meinen Text selber und kann ihn von Aufführung zu Aufführung ändern und lebendig erhalten. Was beim Kabarett schwierig ist, dass man schon allein auf der Bühne steht. Wenn man da steht und auf das dunkle Nichts schaut. Und das Publikum ist ein komisches Wesen, es ist immer wie ein Rendezvous mit einer sehr komplizierten Frau. Und im Theater? Im Theater bin ich abhängig vom Spielplan, vom Regisseur, vom Konzept, von den Kollegen. Da muss man die Stichworte geben, aber es ist schon eine schöne Arbeit.

Bist du auch einmal wirklich total an einer Rolle gescheitert?

Ja, einmal! Ich gab den Valerio im Klagenfurter Stadttheater, und die Leute haben das gehasst, man hat das schon bei der Premiere gespürt. Als wir Schauspieler dann rausgingen, gab es lautstarke Buh-Rufe. Es war schlecht, und ich war auch schlecht.

Gibt es eine Berufsbeschreibung für einen Kabarettisten? Was macht einen guten Kabarettisten aus?

Durchhaltevermögen, diesen Spagat zwischen einerseits dünnhäutig sein und anderseits mit Kritik umgehen können. Es wird immer schwieriger in den Zeiten von Sozialen Medien, man wird nur beschimpft die ganze Zeit.

Gibt es auch Tabus für dich?

Privat unter Freunden gibt es keine Tabus. Auf der Bühne ja! Es gibt auch Sachen, die einfach nicht mehr ankommen. Blondinenwitze, Frauenwitze gehen gar nicht — lacht keiner mehr! Ein Schwarzer darf ›Nigger‹ sagen, ein Jude darf Judenwitze machen, ein Behinderter darf sagen ›Jetzt geh aber!‹

Was ist der Unterschied zwischen deutschem und österreichischem Kabarett?

Im deutschen Kabarett steht ein intelligenter Mensch auf der Bühne und sagt: ›In der Regierung sind lauter Trotteln.‹ Im österreichischen Kabarett steht ein Trottel auf der Bühne und sagt: ›Die Regierung ist wahnsinnig intelligent.‹ Über die Bande spielen ist sehr österreichisch. Kabarett ist immer an den Ort verbunden. Ich finde es sogar schwierig, außerhalb von Österreich zu spielen. Auch in Vorarlberg ist es manchmal schwierig, sie lachen einfach nicht!

Ist es dir denn schon oft passiert, dass das Publikum nicht lacht?

Nicht so oft, man spürt ja selber, wenn man gut ist und wenn nicht.

Aber gibt es sowas wie ›Escape-Schmähs‹?

Das Publikum direkt anzusprechen, das hilft manchmal. Oder ein Fehler hilft auch. Wenn man sich irrt, dann finden sie es einfach menschlich.

Vielen Dank für das Gespräch!