›Style begins and ends with Cary Grant‹ — Alan Flusser
Für Marcel Proust war Stil Ausdruck von Geist, Freiheit und Selbstbestimmung: ›Stil ist keinesfalls nur Schmuck, wie manche Leute denken, es ist auch nicht eine Frage der Technik, es ist — wie die Farbe für Maler — eine Qualität der Vision, die Enthüllung eines besonderen Universums, welches jeder — von uns — sieht, aber welches von anderen nicht gesehen wird.‹
Als ich vor einigen Jahren durch die Hallen des Beverly Hills Hotels in Los Angeles schweifte, stieß ich wie jeder andere Gast auch unweigerlich auf eine überlebensgroße Schwarz-Weiß-Fotografie von Cary Grant. Hinter einer Glasvitrine blickt er am Betrachter vorbei in eine nur für ihn sichtbare Weite, Grant im doppelreihigen Nadelstreifanzug, von ihm mit unnachahmbar lässiger Eleganz getragen, entschiedenem selbstbewusstem Blick, einem humorvollen, dosierten Lächeln, kurzum: wir sehen einen Mann von Welt.
Der Schrein für die Hollywoodlegende wird durch einen unter dem Foto liegenden Smoking — das Kleidungsstück, das Cary Grant wie eine zweite Haut trug — komplettiert. Das Beverly Hills Hotel scheint ein wie für Grant geschaffener Elysium: Cocktails, gepflegte Konversation, Frauen in Abendrobe, livrierte Kellner. Dennoch war Grant niemals ein Snob oder gar Aufschneider, sondern ein Mann, den Generationen von Kinobesuchern bewunderten, für Frauen der ewige Gentleman, liebenswürdig, voller Esprit, ein unerreichbarer Traum, ein begehrtes Vorbild, souverän und selbstironisch, ein Mann, dem der berühmte Modeschöpfer Oleg Cassini ›manners of the heart‹ attestierte.
Schon im Alter von 13 Jahren verließ er die Schule und tourte noch mit seinem Geburtsname Archie Leach mit einer Theatertruppe, indem er sein Alter um einige Jahre nach oben frisierte, durch Englands Provinz. Als Pantomime und Akrobat trat er blutjung bereits in Musicals und Vaudeville-Shows auf und begab sich Anfang der 1930er-Jahre auf eine Amerikatournee. Ein Vorsprechen bei Paramount war erfolgreich. Nachdem er einen Verehrer von Marlene Dietrich im Melodram ›Blinde Venus‹ (1932) spielte, wurde er zum Frauenliebling und Liebhaber, der Smoking, Cocktails und Aperçu trefflich zu einer Inkarnation des Gentlemans vereinte und bereits in den 1930er-Jahren zu einem der populärsten Stars Hollywoods wurde.
Sein unglaubliches Talent für Spiel und Timing bewies der Autodidakt, von dem Tony Curtis sagte: ›Man kann mehr lernen, wenn man Cary Grant beim Trinken eines Kaffees beobachtet, als wenn man sechs Monate mit einem Method-Actor zubringt‹, mit ungemein scharfzüngigen, spritzigen Dialogen von geschliffener Intelligenz mit selbstbewussten, witzigen Frauen in unzähligen Screwball-Comedies von Howard Hawks ›Leoparden küsst man nicht‹ (1938) bis in ›Die Nacht vor der Hochzeit‹ (1940) von George Cukor.
1941 begann er seine Zusammenarbeit mit dem ›Master of Suspense‹, Alfred Hitchcock. Filme von ›Notorious‹ (1946) bis ›North by Northwest‹ (1959) machten den Allrounder endgültig zum Superstar. Seine unglaubliche Leichtigkeit, sprühende Eleganz und sein subtiler Humor machten ihn auch zum Modell für James Bond. Anfang der 1960er-Jahre lehnte er das Angebot ab, der erste James-Bond-Darsteller zu werden, da er nicht in Serien spielen wollte.
Cary Grant ließ sich seine Anzüge bei den besten Schneidern der Savile Road nach seinen Vorstellungen anpassen und maßschneidern, liebte die Qualität von Stoffen, arrangierte mit Sorgfalt zu Anlass und Auftritt passend Farben und Schnitte, entschied ausschließlich selbst, was er wann in seinen Filmen trug und machte auch privat keine Konzessionen an Nachlässigkeit oder Kompromiss.
Für Giorgio Armani verkörperte Grants Stil ›einfach Understatement und Eleganz zugleich‹. Der kalifornische Designer Amir sieht in Cary Grant einen Mann, der ›nicht an Mode interessiert war, sondern Mode macht‹, einen ›der Kleidung liebte, weil sie ihn liebte‹.
Es war seine Aura der Leichtigkeit, sein ungekünstelter unwiderstehlicher Charme und seine selbstverständliche, natürliche Eleganz, die dem fünfmal verheirateten Grant die Herzen der Frauen zufallen ließen. Grant suchte starke, selbstbewusste Frauen, ebenbürtige Partnerinnen. So spielte er mit fast allen weiblichen Top-Stars seiner Zeit — etwa mit Audrey Hepburn, Marlene Dietrich, Mae West, Katharine Hepburn, Grace Kelly, Ingrid Bergman, Sophia Loren, Eva Marie Saint. Dabei motivierte er sie mit notorischem und aufreizendem Desinteresse zu phantasievollen, für das Publikum amüsanten Eroberungsstrategien. Witzig kommentierte er seine Masche mit dem Satz: ›Um beim anderen Geschlecht Erfolg zu haben, muss man der Frau erzählen, man sei impotent. Dann kann sie es gar nicht abwarten, das Gegenteil zu beweisen.‹ In ›Charade‹ (1963) entgegnet Audrey Hepburn mit träumerisch geweiteten Augen auf seine Frage, was er an sich ändern sollte mit ›Rein gar nichts‹. Welcher Mann hat jemals so eine Antwort erhalten.
Als glänzender Komödiant erwies sich der ehemalige Pantomime und Akrobat, wenn er das Image des überperfekten Weltmannes ad absurdum führte: So duscht er in ›Charade‹ im Anzug oder rasiert sich in ›North by Northwest‹ zur Verwunderung anderer Wasserlasser in einer Bahnhofstoilette mit einem kleinen Damenrasierer. Sein Witz und Understatement kommt am besten zum Ausdruck, wenn er sagt: ›Meine Lebensformel ist recht einfach. Ich stehe morgens auf und gehe abends zu Bett. Dazwischen beschäftige ich mich, so gut ich kann.‹ Das Resultat dieser Beschäftigung waren mehr als 77 Filme, davon meist Hauptrollen. Über 30 Jahre zählte er zu den populärsten Filmstars Hollywoods. 1966 zog er sich vom Film zurück: ›Großvater zu spielen‹, überlasse er Berufeneren. Grant vereinte Film und Leben mit Ironie und Skepsis: ›Ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht, zwischen Archie Leach und Cary Grant hin- und herzupendeln. Bei keinem fühlte ich mich sicher, beiden misstraute ich.‹ 1970 überreichte ihm Frank Sinatra einen Ehrenoscar dafür, ›dass er Cary Grant gewesen ist‹.