Bücher für den derzeit tristen Alltag

Bücher für den derzeit tristen Alltag

Eines der Bücher, das auch eine zentrale Rolle in meiner Bibliothek einnimmt und wohl wie kein anderes zur gegenwärtigen Coronaviruskrise und den durch Ausgangsbeschränkungen auf Wohnung und Haus beeinträchtigten Bewegungsmöglichkeiten passt, ist Xavier de Maistres ›Voyage autour de ma chambre‹. Während eines, wegen eines verbotenen Duells über ihn verhängten, sechswöchigen Hausarrestes, entdeckt der Edel- und Lebemann Xavier de Maistre die schier unermesslichen Reisemöglichkeiten in seinem Zimmer. Sein am Ende des 18. Jahrhunderts verfasster Roman ist eine Hymne an die Kunst des Reisens zuhause, eine Kunst, die auch im vermeintlich Bekannten die Wunder des Exotischen entdeckt.

Das Ziel der Reise de Maistres ist es, die Welt in sich selbst zu entdecken. So wird für de Maistre das eigene Zimmer zu einer ›paradiesischen Gegend, die alle Güter und Schätze der Welt in sich trägt.‹ So macht sich der Autor in einer Art literarischen Expedition auf den Weg, in seinen vier Wänden, die Welt in sich selbst zu entdecken. Indem er in seiner vermeintlich vertrauten nächsten Umgebung Geschichten und Erfahrungen, die den Objekten des Raumes nomadenhaft einverleibt sind, reanimiert und von Neuem durchlebt, lässt er Zeit und Raum hinter sich. Sollten Sie die Reisemöglichkeiten innerhalb Ihrer vier Wände allerdings schon ausgeschöpft oder Xavier de Maistres Buch bereits gelesen haben und daher ein weiteres Palliativ gegen die sich unvermeidlich ausdehnende Langeweile benötigen, darf ich Ihnen folgende Kriminalgeschichten ans Herz legen. Ich hoffe, dass Sie mit neu erlebter Spannung den derzeitigen tristen Alltag ein wenig hinter sich lassen können.

Vorweg möchte ich Ihnen den Roman ›Teddybear‹, der vom begnadeten, für seine ›Maigret‹-Romane berühmten, belgischen Romancier Georges Simenon stammt, ans Herz legen. (Mehr über den Autor erfahren Sie in einem meiner früheren Texte für ›Thema‹). ›Teddybear‹ erschien 1960 und gehört zu jenen von Simenon als ›Romain Durs‹ bezeichneten, die von ihm selbst als Romane höherer literarischer Ambition angesehen wurden. Ihnen gemein ist ›fast immer ein fatalistischer Zug, ein Element von Unentrinnbarkeit und Verhängnis‹.

In einer Rezension stellt Franz Schuh in seiner Kritik des Romans einen Vergleich mit Bill Clintons Memoiren an, der jedoch eindeutig zugunsten des französischen Schriftstellers ausfällt. Der Roman schildert den zunehmend sinnentleerten, gefühls- und trostlosen Alltag eines erfolgreichen Gynäkologen, der sich zunehmend seiner Geliebten, seiner Familie, seiner Klinik und Arbeit entfremdet und im Alkohol Beruhigung und Vergessen sucht. Als eine junge Frau, die er als Teddybär bezeichnet, nach einer Liebesnacht in die Seine geht, greift er zum Revolver und das Schicksal nimmt seinen vollkommen überraschenden Lauf.

Wie Sie ja schon einem meiner vorangehenden Artikel in ›Thema Vorarlberg‹ entnehmen konnten, habe ich eine besondere Vorliebe für den Film Noir. Ich darf Ihnen einen Roman empfehlen, der auch in der Hochblüte des Noir verfilmt wurde und ein Klassiker des ›Mystery‹-Romans wurde, wie man die Krimis in den USA nannte: ›Double Indemnity‹ (deutscher Buchtitel: ›Doppelte Abfindung‹) von dem wunderbaren Krimiautor James M. Cain.

Cain, der seine Karriere als Journalist begann, war einer der erfolgreichsten amerikanischen Krimiautoren, Professor für Journalistik in Baltimore und Drehbuchautor in Hollywood. Seine größten Erfolge feierte er in den 1930er- und 1940er-Jahren.

Cain überzeugt mit einer perfekten Milieuschilderung und psychologischen Analyse triebbestimmter, unmoralischer Charaktere, die sich nicht wie üblich um Profiverbrecher dreht, sondern um stinknormale Bürger, die — gierig nach Sex und Geld — vor Mord nicht zurückschrecken. Im Mittelpunkt, wie so oft in seinen Romanen, steht eine selbstbewusste und skrupellose Femme fatale: Sie ist blond, trägt einen Goldreif ums Fußgelenk, ihr Parfüm duftet nach Jasmin. Und sie ist verheiratet. Wie eine Verheißung auf ein flüchtiges Abenteuer tritt Phyllis Dietrichson an die Balustrade ihres Einfamilienhauses, bekleidet ist sie nur mit einem eilig um den Körper geschlungenen Badetuch. Walter Neff, Versicherungsvertreter auf Kundenbesuch, lässt sich durch den verlockenden Auftritt jedoch nicht blenden. Als Phyllis ihn nach einer Unfallversicherung für ihren reichen Ehemann fragt, hat er ihre mörderischen Absichten durchschaut. Dennoch kann Walter ihrer Anziehungskraft und Verworfenheit nicht widerstehen. Er wird ihr Liebhaber. Gemeinsam planen die beiden ein scheinbar perfektes Verbrechen. Ob ihnen das gelingt, sollten Sie selbst erlesen. Der Roman ist eine ›Phantasmagorie über Verwirrung, Verzweiflung, über die Gewalt, die in uns allen steckt. Eine rabenschwarze Vision über Einsamkeit, Angst und Tod‹.

Als dritten, wenn auch unkonventionellen, weil heiter-absurden Krimi möchte ich Ihnen den Roman ›Jetzt regnet’s Ohrfeigen‹ und seinen Autor Carlo Manzoni vorstellen. Carlo Manzoni begann 1936 zuerst satirische und humoristische Aufsätze für Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben, später verfasste er auch Stücke für Theater und Fernsehen. Ende der 1960er-Jahre machten ihn seine ›Superthriller‹ auch außerhalb Italiens bekannt. Seine humoristischen Kriminalromane parodieren hochamüsant das Genre der amerikanischen Krimiliteratur.

Da wird ins Ungeheuerliche übertrieben und die gewohnten Krimiklischees werden mit viel Sprachwitz auf den Kopf gestellt. Seine Kriminalparodien bevölkert ein skurriler Privatdetektiv, der sich Chico Pipa nennt und leidenschaftlich Alkohol, im Besonderen Bourbon, und Frauen, und dies in dieser Reihenfolge, zugetan ist. Sein Kollege ist vierbeinig und ein ausrangierter, aber erfahrener Polizeihund namens Gregorio Scarta, der als verdeckter Ermittler seinen Freund meist auf tadellos erschnüffelte, wenn auch nicht unbedingt richtige Spuren führt.

Ich darf Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre wünschen. Sollten Sie sich mit Krimis nicht begnügen wollen, darf ich Ihnen noch folgende zu Unrecht wenig bekannte Bücher Ihrer Aufmerksamkeit zuführen: Raymond Queneaus ›Zazie in der Metro‹, Pittigrillis (Pseudonym von Dino Segre) ›Der Keuschheitsgürtel‹ und Daniil Charms ›Geschichten von Himmelkumov und anderen Persönlichkeiten.‹ Auch dabei viel Spaß!